01.12.2014 – Radio kann so viel – und die etwas ruhigere Zeit um Weihnachten ist vielleicht die richtige, um sich mit den Stärken des Radios zu beschäftigen und eine Lobeshymne auf das schönste Medium der Welt zu singen ;-)

Im Herbst durfte ich in Österreich beim Liferadio Research Day in Linz einen Vortrag über die Stärken des Radios halten. Hier einige Auszüge.

Der digitale Wandel geht an keinem Medium ohne Spuren vorbei.
Die TV Macher haben mit nicht linearer Nutzung zu kämpfen – fast die Hälfte aller Deutschen nutzen regelmäßig die TV Mediatheken, ein Viertel nutzt mehrmals im Monat Video On Demand.
Das Durchschnittsalter des Zeitungslesers steigt immer weiter – der durchschnittliche Zeitungsleser in Deutschland ist 60 Jahre alt – der durchschnittliche Radiohörer mehr als ein ganzes Jahrzehnt jünger (und spiegelt damit ziemlich genau das Durchschnittsalter aller Deutschen).

Keine Frage: auch Radio verliert Mediennutzungszeit gerade der jungen Zielgruppe an youtube, Spotify und Co. Mit neuen Bordcomputern in den Autos und immer wieder neuen Playern auf dem Audiomarkt kommen auch weiterhin neue Herausforderungen auf uns zu .

Deshalb möchte ich die Stärken des Radios beleuchten und aufzeigen, warum lineares Radio im Vergleich zu linearem Fernsehen und zur klassischen Tageszeitung den digitalen Wandel gut überstanden hat und weiterhin ein stabiles Schiff in der digitalen Medienbrandung sein wird.

Die Stärken des Radios:


Radio kennt seine Nutzer.

Privatradio hat über intensive Marktforschung in den letzten 25 Jahren eine Menge darüber gelernt, wie man Zielgruppen anspricht und vor allem dauerhaft bindet. Strategisches Radiomachen ist uns in Fleisch und Blut übergegangen.

Radio kommt von vor der Haustür.
Kein anderes Medium kann so nah sein wie Radio.

Radio IST Social Media und interaktiv.
Radio war schon immer ein interaktives Medium, das schon immer auch einen Rückkanal hatte und das schon immer seine Nutzer eingebunden hat

Radio kann man nebenbei nutzen.
Radio ist das einzige echte Nebenbeimedium, von dem man sich bei der Arbeit oder beim Autofahren begleiten lassen kann, ohne dass es z.B. den Einsatz von Augen oder Händen fordert!

Radio ist auch ein Eventmedium.
Radio kann besondere Ereignisse durch seine regionale Verankerung schaffen.

Und der über allem stehende Grund, warum Radio nicht austauschbar und nicht beliebig durch Apps und Streamingdienste ersetzbar ist, ist der Faktor Mensch.

Radio hat Menschen als Botschafter.
Der Moderator kann ein Freund der Hörer werden und in allen relevanten Bereichen eine emotionale Bindung herstelle. Diese emotionale Bindung ist unsere Einschaltquotenversicherung.

All das und natürlich als Basis die richtige Musik, schafft eine starke Marke.

Wenn man auf radio.de z.B. einen lokalen Sender Liferadio Oberösterreich wählt und der Leiste mit der Überschrift „Hörer, die diesen Sender hören, hörten auch“ folgt, sieht man darunter Sender aus der Region wie Radio Oberösterreich, Welle 1 Linz, als drittes den Digital Kanal von Liferadio ‚Made in Austria’ und als viertes Kronehit aus Österreich. Obwohl mehr als 17.000 Sender im Angebot sind.
Die regionale Anbindung und die Anbindung über Persönlichkeiten schlägt den Special Interest Sender vom anderen Ende der Welt, sogar den Spartenmusikkanal aus dem Nachbarland Deutschland. Dort entspricht die Musik vielleicht eher meinem Geschmack, aber alles drumherum ist für mein Leben nicht relevant. Es ist auch ungleich schwerer, zu diesen Moderatoren eine Bindung aufzubauen, weil sich deren Infos und Inhalte in der Moderation nicht auf meine Lebenswelt beziehen und deshalb emotional komplett an mir abprallen. Das beginnt schon damit, dass mich diese Moderatoren niemals in meiner Tagesbefindlichkeit abholen und begleiten können. Wenn ich morgens um 7 Uhr im Bad stehe, reden die Moderatoren eines Musikkanals aus Australien vielleicht von Feierabend. Nur das lineare Radio mit einem Moderator aus meiner Region und meiner Lebenswelt schafft es, mich anzusprechen und eine Bindung zu mir aufzubauen.

In meinem Sender von vor der Haustür finde ich mich wieder, ich habe Orientierung, ich kann mir etwas darunter vorstellen, wenn jemand von einer bestimmten Straßenkreuzung spricht.
Werbeblöcke empfinde ich als Einkaufsservice, ich kenne die Geschäfte, von denen die Rede ist. Ich fühle mich zuhause. Dank Werbeforschung wissen wir, dass gut gemachte Radio- Werbung genauso wie eine gute Moderation als 1:1 Kommunikation empfunden wird. Der Hörer hat das Gefühl, direkt angesprochen zu werden.

Die Welt wird immer globaler, und wenn ich mag, kann ich den neuesten Deep House Radiosender aus Tasmanien hören, aber die Infos, die mir morgens wichtig sind, von lokalen News bis hin zum Service – z.B. ob ich den Berliner Stadtring lieber meiden sollte, weil ein Unfall zum Verkehrschaos geführt hat – das kann auf eine bestimmte Art nur Radio. Vielleicht aber kann irgendeine Stimme in meinem neuen BMW Bordcomputer das auch. Serviceberichte im Radio haben eine echte Stimme mit emotionalem Ausdruck, sie haben ein Gesicht, sie haben Eigenschaften, und nach einer gewissen Zeit, gehört die Person, die sie mir liefert, zu meiner Familie und zu meinen festen Morgengewohnheiten.

Wenn meine Wetterapp morgen nicht mehr existiert, ist mir das egal. Ich suche mir einfach eine neue. Wenn eine gute und beliebte Wetterpersonality im Radio plötzlich nicht mehr da ist, wird sie vermisst. Eine gute Wetter- oder Verkehrspersonality baut eine emotionale Bindung zu seinem Hörer auf – eine App kann das nicht.

Eine gute Wetter- und Verkehrspersonality bietet einen Mehrwert, über Zusatzinfos, eine besonders nette Art, einen kleinen Witz oder eine persönliche Geschichte, die auch mir als Hörer hätte passieren können.

Hörer nutzen morgens Radio, um sich gut zu fühlen. Eine Studie der Uni Kassel ergab: Hörer wollen mit Unterhaltungssendungen im Radio vor allem „positive Stimmungen hervorrufen oder verlängern“ und „negative Stimmungen abbauen“. Diese Antworten gaben mehr als 70% der Befragten. Kann eine Wetterapp negative Stimmungen abbauen? Höchsten dann, wenn Sie vier Wochen Sommerwetter verspricht und das kommt in unseren Breitengraden selten vor… Eine Wetterpersonality kann das.

Zusammenfassend kann man sagen: Radio lebt auch wegen seiner Art der Informationen – spannend gemacht, persönlich vor allem aber emotional und lokal. Meine kleine persönliche, lokale Insel in einer Welt der Globalisierung.

„Das Leben schreibt die besten Geschichten“ – das gilt auch für das Radio. Und es ist ein Unterschied, ob mir ein Zeitungsredakteur die Geschichte eines anderen aufschreibt und ich diese nachlese, oder ob mein Lieblingsmoderator mir eine Geschichte aus einem Leben erzählt, in der ich mich bestenfalls selbst wiederfinde.

Unsere Hörer lassen uns in ihr Badezimmer, wenn sie nackt sind, an ihren Frühstückstisch, wo sie gerade einen kleinen Streit mit ihrem Partner haben und auf ihren Beifahrersitz, während sie Bammel vor dem Termin mit dem Chef haben. Sehr intime Situationen. Der Lielingsmoderator darf hier dauerhaft „zu Gast“ zu sein, weil er ein transparenter Mensch mit Stärken und Schwächen ist und so zum Freund des Hörers werden kann.

Jedes Alltagserlebnis kann zu einer Geschichte für die Morgensendung werden. Die größten Morningshows der Welt leben zu einem guten Teil von persönlichen Geschichten und Erlebnissen der Moderatoren. Die Morningshow On Air with Ryan Seacrest auf KISS FM in Los Angeles gilt in der Branche als eine der besten Morgensendugen weltweit wenn nicht die Beste. Ryan Seaacrest verdient bei seinem Arbeitgeber Clear Channel in 3 Jahren… 60 Millionen Dollar…

Die Show um Ryan und seiner Co- Moderatorin Ellen K lebt zu 50% von Benchmarks, Standards und Promos und zu 50% von Geschichten aus dem Leben von Ryan und Ellen.

Streamingdienste können keine persönlichen Geschichten erzählen, die iTunes Library kann nicht emotional sein, die Wetter-App bietet nichts zum Identifizieren an. Radio nutzt diese Chance zur Hörerbindung über verschiedene Wege und Stilmittel.

Ein guter Moderator spricht immer nur mit EINEM Hörer – eine direktere und persönlichere Kommunikation bietet kein anderes Massenmedium.

Radio wird von jedem Menschen einzeln konsumiert. Auch wenn mehrere zusammen z.B. im Auto Radio hören, spricht der Moderator nur mit EINEM Hörer. So ist es auch mit Radiowerbung! Eine amerikanische Studie hat herausgefunden, dass Radiowerbung als direkte, persönliche Ansprache wahrgenommen wird. Die Hörer haben außerdem das Gefühl, dass diese Werber sich mehr darum bemühen, sie zu erreichen.

Kennen Sie die Situation: der Moderator sagt etwas wie „wenn Sie gerade im Stau auf der…. stehen, hab ich den perfekten Song für Sie“ Und Sie stehen auf der im Stau. Dieses Kommunikationsgefühl vermittelt kein anderes Medium.

Ich habe selber sehr lange im Radio moderiert und meine Erfahrung als Moderatorin war: die stärksten Reaktionen habe ich auf drei Arten von Inhalten bekommen: besondere Situationen wie Versprecher oder wirklich kreative Ideen, wenn ich den Menschen gerade aus der Seele gesprochen habe oder mit besonders emotionalen Geschichten.

Radio hat Menschen, zu denen ich eine persönliche Bindung herstelle, Freunde im Radio, die mich berühren, zum Lachen bringen, mit guten Geschichten an ihrem Leben teilhaben lassen und mit vielen Ideen mein eigenes Leben im Radio widerspiegeln – das kann kein Algorithmus und keine App. Mit einem Programm, das auf Basis von Marktforschung eine breite Masse erreicht und Moderatoren, mit denen man sich als Hörer identifizieren kann und die so zur Hörerbindung beitragen, hat man zwei Komponenten, die Stammhörer bescheren und die uns helfen, einen großen Teil unseres Marktanteils zu sichern – auch in härteren Zeiten.

Neue Herausforderungen warten auf uns – keine Frage.
Aber Radio wird auch diese neuen Herausforderungen meistern, wenn es sich auf seine Stärken besinnt:

Die Stärke des Vor Ort Mediums ausspielen, lokalpatriotisch sein und sich um die Menschen in der Region und die Belange der Region kümmern. Weiter an den kreativen Ideen, die besondere Aktionen hervorbringen, arbeiten und damit Dinge schaffen, die Gesprächsstoff erzeugen. Persönlichkeiten Raum geben, diese weiterentwickeln und auf die persönliche Verbindung zum Hörer setzen. Moderatoren müssen den Ehrgeiz haben, die Freunde der Hörer zu werden.
Und vor allem emotional sein

Fazit: Die emotionale Bindung ist die eigentliche Stärke des Radios und UNSCHLAGBAR

Die stärkste Verbindung zu ihrem Hörer stellen wir durch Gefühle her.
Wer es schafft, einen Hörer einmal emotional zu berühren hat für lange Zeit einen treuen Freund gewonnen. Und einem echten Freund verzeihe ich auch mal Fehler vor allem aber kehre ich immer wieder zu ihm zurück.

In diesem Sinne:
Viele schöne emotionale Momente – mit und ohne Radio.

Ihre
Yvonne Malak

Erschienen am 01. Dezember 2014 auf www.radiowoche.de.