01.06.2007 – „Um als Moderator zu arbeiten, muss man mindestens eine kleine Profilneurose haben“. Sagte vor 20 Jahren ein Kollege zur mir, der heute zu den wenigen Persönlichkeiten im deutschen Radio zählt und vor dem ich nach wie vor meinen Hut ziehe.
„Moderator werden kann man nicht lernen, als Moderator wird man geboren oder nicht“, sage ich gerne, wenn man mich fragt „wie bitteschön wird man eigentlich Radiomoderator?“. Der „typische Moderator“ hat in der Regel von Natur aus den Drang, sich mitzuteilen, zu präsentieren und ist eher der Typ, der gerne im Vordergrund steht. Wer das nicht zugeben will, belügt sich selbst. Oder hat kein Interesse daran, ein herausragender Moderator zu sein, eben eine Persönlichkeit.
Waren Sie mal in einer Runde mit mehr als zwei Radiomoderatoren? Ich war kürzlich in der Kantine eines Medienunternehmens mit zwei Morgenshow- Moderatoren, dem dazugehörigen Gagautor und dem Nachmittagsmoderator des Senders. Wir haben nicht nur uns, sondern auch die umliegenden Tische bestens unterhalten …
Was das alles mit Persönlichkeiten zu tun hat? Sehr viel! Wen würden Sie als Persönlichkeit bezeichnen und was zeichnet diese Menschen aus? Möglicherweise haben wir alle unterschiedliche Vorstellungen von „der“ Radiopersonality. Ich verstehe unter diesem Begriff Moderatoren, die gerne Geschichten erzählen, gute Unterhalter sind, dabei eine bildhafte Sprache haben und pointiert formulieren können. Bei einer Analyse deutscher Morningshow- Moderatoren habe ich außerdem folgende Gemeinsamkeiten gefunden: alle leben exakt in der Lebenswelt ihrer Hörer (oder betonen die Punkte, in denen sie die Lebenswelt der Hörer widerspiegeln), sprechen die Sprache der Menschen am Radio, sagen genau das was diese denken (auch wenn sie sich damit gelegentlich weit aus den Fenster lehnen) und lassen den Hörer am eigenen Leben teilhaben. Alle geben sehr viel von sich preis, alle lassen auch mal stark emotionale Momente zu und alle reiben sich an und mit ihren Co- Moderatoren. Sie haben Meinungen und äußern diese, sie polarisieren und haben keine Angst davor, sie bedienen die klassischen Mann-Frau-Klischees und stehen dazu. Und sie nehmen sich selbst nicht zu ernst.
Im Wort Persönlichkeit steckt das Wörtchen „persönlich“ drin. Und das ist sicher eines der wichtigsten Kriterien für eine Radiopersonality: persönlich sein. Fast alle Breaks, an die ich mich nachhaltig erinnere, hatten einen persönlichen und/oder emotionalen Moment. Zum Beispiel die Geschichte der Vormittagsmoderatorin, die erzählte, dass sie am selben Tag im Bus auf dem Weg in den Sender einen superschnuckeligen Mann gesehen, der ihr wahnsinnig gut gefallen hat. Leider hat sie sich nicht getraut, ihn anzusprechen… Oder ein sehr emotionaler Break eines Morgenshowmoderators, der erzählte, wie er seine Eltern nach einem Besuch in Berlin verabschiedet hat und als er ihnen nachsah, ein bisschen traurig wurde. Er sah von hinten, dass sein Vater Schwierigkeiten beim Gehen hatte und musste feststellen, dass seine Eltern wirklich alt wurden. Er erzählte das sehr emotional und sehr persönlich und man konnte mit ihm mitfühlen. In Erinnerung geblieben ist mir auch die Liebeserklärung eines Morningshowanchors an seine Frau nach der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes.
Sicher, es gehört viel Mut dazu, so viel von sich preis zu geben. Wenn jemand nicht so weit gehen will: kein Problem! Aber das sind die Dinge – die zumindest für meinen Geschmack – eine Persönlichkeit ausmachen.
Beim Thema „Radiopersonalities“ wird auch oft auf die polarisierende Art von Howard Stern hingewiesen. Erinnern Sie sich aber, wie er angefangen hat und zu einer Persönlichkeit wurde: mit Geschichten aus seinem Leben. Von seiner Frau, ihrer Schwangerschaft, ihrer Fehlgeburt – eben mit den ganz „normalen“ Geschichten, die das Leben schreibt. Ich finde, man muss nicht „politisch unkorrekt“ sein oder gar Minderheiten beschimpfen, um eine herausragende Personality zu sein.
„Die beste Ressource für die Vorbereitung einer Show ist das eigene Leben“. Auch ein Zitat eines Kollegen, das ich nicht vergessen werde. Es sind die kleinen Ereignisse des täglichen Lebens, die – radiogerecht umgesetzt – aus Moderatoren Menschen machen, die dieselben Sorgen, Probleme und Erlebnisse haben, wie deren Hörer.
Ein nachvollziehbarer Mensch sein, Dinge tun, mit denen sich der Hörer identifizieren kann, sind der erste Schritt auf dem Weg zur Persönlichkeit. Und es sind die einfachsten Dinge, die aus einem Moderator mehr machen als nur einen Titelansager, Wettervorleser und Gewinnspiel- Rüberbringer.
Mein Berliner Lieblingssender hat einige Moderatoren, die – für mein Verständnis – echte Persönlichkeiten sind. Weil ich gerne zuhöre, wie sie z.B. an den alltäglichen Dingen des Lebens Geschichten „aufhängen“ – zum Beispiel den Beitrag über eine „Beziehungs- Beendungs- Agentur“ an einer Co- Moderation der zwei Moderatoren (zwei Männer), die darüber geredet haben, wer von beiden ein „Schlussmacher“ und wer ein „Schluss- Gemacht- Werder“ ist. Die beiden haben ihre gesamten relevanten Beziehungen offenbart und zugegeben, dass sie meist zu feige waren, selbst Schluss zu machen… Vermutlich hat die Mehrheit der männlichen Zuhörer Parallelen zum eigenen Leben feststellen können….Oder wie die beiden zu Ostern das Thema „Hasen“ aufgezogen haben: ich habe erfahren habe, dass einer der beiden ein durchtrainierter Zwei- Meter- Mann ist, von seiner Frau „Hasi“ gerufen wird, was in einem Kaufhaus sicher zu dem ein oder anderen verwunderten Blick führt. Bei der Geschichte, die kurz und einfach war, hatte ich ein Bild vor Augen, musste schmunzeln und habe in einem Break eine Menge über den Mann, der Zuhause „Hasi“ genannt wird erfahren. Klasse!
Die Dinge auf die ich selbst (in meiner Zeit als Moderatorin) am häufigsten angesprochen wurde, waren einfache persönliche Dinge, die viele Menschen in ihrem täglichen Leben entweder selbst erleben oder die ihnen in ihrem direkten persönlichen Umfeld regelmäßig begegnen. Es ging um das Tragen, Gefallen sowie Nicht- Tragen weil Nicht- Gefallen von Brillen (und dessen Folgen…), den (typisch weiblichen) ständigen Kampf mit dem Gewicht, die Kommunikation mit dem inneren Schweinehund in Sachen Besuch des Fitness- Studios, eingebildete und echte Problemzonen und den alltäglichen Kampf der Geschlechter. Absolut unspektakulär, aber für (fast) jeden Hörer nachvollziehbar und einfach nur menschlich.
Meine Erfahrung: alles, womit sich die Hörer(innen) selbst identifizieren konnten oder was sie aus ihrem persönlichen Lebensumfeld (zum Beispiel Breaks zum Thema „Männer und Frauen“…) kannten, schaffte Aufmerksamkeit oder Feedback, war also für die Hörer be-MERKENS-wert. Persönliches einzubauen, in dem sich die Zielgruppe wiederfindet, ist ein einfacher Schritt auf dem Weg vom Moderator zur Persönlichkeit.
Etwas schwieriger ist schon der nächste Schritt, nämlich an die Grenzen des jeweiligen Formats zu gehen und auszutesten, was alles möglich ist – im Rahmen der Vorgaben. Die meisten Formate erlauben deutlich mehr als Musicsells und Gewinnspielteasings. Ich freue mich immer, wenn ein Moderator einfach mal etwas anders macht. Zum Beispiel von seinem aktuellen Beziehungsstress erzählt und dann aus der Sendung raus seine Freundin anruft…. Klasse fand ich auch den jungen Mann, der live on air (es gab einen aktuellen Aufhänger) den nachfolgenden Moderator als „Sitzpinkler“ outete und mit ihm kurz über eine Diskussion über Weicheier, Frauenversteher und die letzte Männerdomäne begann. Wie immer kann es sein, dass sie auch diese Beispiele nicht mögen, aber sie stehen ja nur exemplarisch dafür, dass man nur dann bemerkenswert wird, wenn man persönlich ist und sich mehr traut, als den nächsten Song anzusagen und das folgende Gewinnspiel zu teasen. Was riskiert man dabei? Maximal eine Rüge seines PD. Aber ich sagte ja, ein bisschen Mut gehört schon dazu….
Ich finde: alles, was eine Sendung besser macht, ist erlaubt. Ich kann einen Musicsell statisch aufziehen oder mit einer persönlichen Geschichte verbinden. Ich kann ein Thema einfach teasen oder ich kann versuchen, einen persönlichen Zugang zu finden. Hier werden viele Chancen verschenkt! Kürzlich gehört: ein 40jähriger männlicher Moderator (definitiv hetero), der ein Mann- Frau- Thema mit den Worten teaste: “Morgen erfahren Sie, warum Frauen immer stundenlang mit ihrer besten Freundin quatschen müssen, aber gar nichts dafür können.“ Warum sagte er nicht etwas in dieser Richtung: „Ich verstehe die Frauen einfach nicht. Meine Freundin Nina zum Beispiel. Die geht mit ihrer besten Freundin den ganzen Samstag shoppen und kaum ist sie eine Stunde zuhause, hängt sie schon wieder am Telefon – um ihre beste Freundin anzurufen. Was haben die Mädels eigentlich immer zu besprechen?? Und das stundenlang!!! Für mich eines der ungelösten großen Rätsel der Menschheit. Ich bin sicher, die meisten Männer in… kennen das ebenfalls Wir klären dieses Phänomen….“ Das ist im Grunde der gleiche Teaser zum selben Thema, nur persönlich statt standardmäßig aufgezogen und vielleicht auch in einer Art und Weise, die Hörer dazu bringt, sich mit dem Moderator zu identifizieren, weil sie die Situationen kennen und das Gefühl haben „der versteht mich“. Denn darum geht es uns doch letztendlich: ein Freund der Hörer zu werden. Dazu muss der Hörer aber etwas über mich als Moderator wissen. Oder haben Sie Freunde, von denen sie nichts wissen??
Wenn man nichts Persönliches preisgeben will, keine Lust hat, seine Figurprobleme und Dioptrien vor den Hörern auszubreiten, sich als Fitness- Muffel oder Handtaschenfreak zu outen oder zuzugeben, dass man eine Ordnungsmacke hat oder alternativ nichts wegschmeißen kann. Wenn man sich nicht traut, einen Kollegen als „Sitzpinkler“ zu outen oder zuzugeben, dass man grade von seinem Freund wegen einer Jüngeren verlassen wurde: absolut o.k.! Aber ohne Persönliches – glaube ich zumindest – kann man keine Persönlichkeit werden.
Naja, und ein bisschen Mut gehört natürlich auch dazu. Man könnte sich ja eine Rüge des PD einfangen. Aber wer nichts ausprobiert, kann auch nichts Neues entdecken.
Natürlich muss auch der Programmchef stark genug sein, eine Persönlichkeit auszuhalten. Aber das ist dann sein Problem…
Ihre Yvonne Malak
Zuerst veröffentlicht am 01.06.2007 bei RADIOSZENE:
http://www.radioszene.de/news/myradio_mailbox_010607.htm