01.03.2022 –
“Stories machen deinen Charakter über ihren Inhalt transparent“
Tracy Johnson in „12 Steps to Becoming an On Air Superstar“
Da derzeit alle über „Storytelling“ reden, lass uns über das Handwerk dazu reden…
Wenn du noch nicht so viel Erfahrung beim Geschichtenerzählen on Air hast, oder wenn du neu auf deiner Sendeschiene bist und die Hörer dich erst noch kennenlernen müssen: fange langsam an – z.B. mit kleinen Beobachtungen aus dem täglichen Leben. Bei größeren, längeren Geschichten bereite den Ablauf deines „Storytellings“ in jedem Fall sorgfältig vor.
Hier meine überarbeiteten Tipps zum Thema:
Einleitung und Schluss sind die wichtigsten Bestandteile für die optimalen Umsetzung einer Geschichte. Wenn du eine Story on Air erzählen willst, fange mit der Vorbereitung am besten von hinten an…
Anleitung fürs Storytelling – in 12 Schritten zur optimalen Geschichte
1. Denke die Geschichten vom Ende her
Das erste, was du kennen musst, ist das Ende der Geschichte. Starte nie in eine Geschichte, von der du nicht wissen, wie du sie beenden wirst.
Verwende viel Energie auf die Gestaltung des Endes – wie gehst du raus? Was soll hängen bleiben? Welche Botschaft willst du mitgeben?
2. Beachte die Acht-Sekunden-Regel
Die Aufmerksamkeitsspanne, die ein Hörer einem Einstieg widmet, bis er sich entscheidet, zuzuhören (oder eben nicht…), beträgt maximal acht Sekunden. Das reicht für gerade mal 15 Worte. Hol deinen Hörer also in den ersten zwei Sätzen in die Geschichte. Verwende auf den Einstieg genau so viel Gehirnschmalz wie auf den Ausstieg.
3. Plane den Spannungsbogen
Überlege dir genau, wie du den Spannungsbogen aufbauen und – im Falle einer Moderation in der Morgenshow oder Doppelmoderation – ggf. gemeinsam im Team halten willst. Achte darauf, niemals den „Pay Off“ vorwegzunehmen.
4. Hab‘ den Mut zur Pause!
Die Pause ist das am meisten unterschätzte und gleichzeitrug wichtigste Stilmittel fürs Storytelling. Schon Mark Twain sagte: „Kein Wort ist so stark, wie eine gut gesetzte Pause“. Nimm dir Zeit für die Geschichte. Es geht nicht um Kürze, es geht um Relevanz, Spannung und Dramaturgie.
5. Wenn du im Team moderierst: vermeide „Bauerntheater“
Übertriebenes das Hin und Her zwischen den Protagonisten klingt gern nach „Laienschauspielgruppe“… nicht. Unterbrich den Erzähler der Geschichte nur mit den wichtigen und richtigen Fragen. Ansonsten lass ihn reden. Kommentare kommen aus dem Hintergrund. Arbeite mit einer weiteren akustischen Ebene, dem Raum, indem du dich ggf. etwas vom Mikrofon entfernst.
6. Bleibe auf dem Weg zum Ziel
Wenn du bei einer Team-Moderation in der Zuhörerrolle bist: verkneife dir Fragen, die nicht direkt zum Thema gehören und auf einen anderen „Weg“ führen.
7. Forumuliere aktiv und im Präsens
Bringe die Geschichten in die Gegenwart. Formuliere im Präsens und natürlich aktiv. Was klingt besser: „als ich zum Bäcker gegangen bin und gerade die Straße überqueren wollte, kam von rechts dieser Radfahrer“ oder „ich gehe zum Bäcker, stehe an der Kreuzung und mache den ersten Schritt auf die Straße. Da kommt dieser Radfahrer ohne Licht auf mich zugerast. Ich springe wieder auf den Bürgersteig…“? Die Variante im Präsens klingt auf alle Fälle spannender! In dem Buch „Tools der Titanen“ erzählt Larry King von seiner ersten Radioshow im Jahr 1957 wie folgt „Es ist Montagmorgen, 6 Uhr. Ich bin auf dem Weg in den Sender…“. Er erzählt die Geschichte im Präsens…(Aus: Tim Ferries, „Tools der Titanen“, S. 380).
8. Betone das entscheidende Detail
Gibt es in der Story ein Detail, das die Geschichte interessanter macht? Im obigen Beispiel könnte das „dieser Radfahrer ganz in schwarz gekleidet mit einem schwarzen Helm auf einem schwarzen Mountainbike“ sein.
Hier darfst du gerne mal ein bisschen übertreiben… Beim Bierchen mit Freunden übertreibt man ja auch gerne ein kleines bisschen, wenn man z.B. die Geschichte von der Monsterwelle erzählt, die man beim letzten Urlaub mit dem Surfbrett geritten hat… aber das macht die Geschichte doch erst rund…
9. Setze das Stilmittel des Dialoges ein
Statt „und als ich ihn dann fragte, ob er mich überhaupt gesehen habe, antwortet er, er hätte seine Brille vergessen“ klingt folgende Variante dynamischer und besser:
„Ich frage ihn: ‚haben Sie mich überhaupt gesehen?’ – er sagt daraufhin ‚nö, hab meine Brille vergessen’“. Wenn du ein Talent zur Stimmimitation oder für Dialekte hast: noch besser! Das macht die Geschichte noch lebendiger!
10. Plane die Auflösung
Überlegen dir, welches das auflösende Detail/ welcher der wichtigste Punkt, der Höhepunkt der Geschichte ist! Wo wird der Spannungsbogen aufgelöst? Wie arbeitest du darauf hin? Beschreibe dieses Detail gut!
11. Gib dem Hörer etwas „zum Mitnehmen“
Wenn möglich gib der Geschichte eine Art „positiven Epilog“, eine Lebensweisheit oder ein Learning, suche also einen positiven Abschluss. Ich nenne einen solchen Abschluss die „rosa Schleife“ („da hab ich wieder gelernt, dass sich in nur wenige Sekunden alles ändern kann. Also: genießen wir jeden Moment“).
12. Zelebriere den Schluss und hab keine Angst vor „Dead Air“
Viele gute Geschichten zerstören sich am Ende, wenn diese eine Sekunde des Ausklangs fehlt und z.B. sofort ein Jingle „draufgehauen“ wird oder der nächste Song losgeht. Gib dem Hörer diese eine Sekunde. Gute Geschichten leben auch von einem guten Timing – in der Mitte und vor allem am Ende.
Viel Spaß bei der Kunst des Storytellings.
Deine
Yvonne Malak
Erschienen am 01. März 2022 auf www.radiowoche.de.