01.05.2015 – «How we treat TV is how listeners treat us« dieser Satz ist mir beim Besuch eines Workshops des amerikanischen Mornigshow Coaches Steve Reynolds in Erinnerung geblieben. So wie wir uns beim Zapping durch die Fernsehprogramme verhalten, so behandeln die meisten Hörer auch das Medium Radio. Die Angebote werden durch Smartphones und andere Verbreitungswege nicht nur vielfältiger, die bestehenden Angebote werden auch qualitativ immer hochwertiger. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Anbieter haben ihre Programme in den 2000er und 2010er-Jahren deutlich hörbar an den Publikumsgeschmack angepasst. Es ist also besser, sein Programm ständig auf den Prüfstand zu stellen.

Deshalb hier Teil II meiner Vorschläge für Kriterien für die Analyse und Optimierung „Ihres“ Radioprogrammes in der MA freien Zeit.

Gewinnspiele als Chance und Risiko
Das Thema Gewinnspiele ist komplex und bietet nicht nur Chancen, sondern auch Risiken, z.B. wenn Sender als „Sender mit zu vielen Gewinnspielen“ wahrgenommen werden. Die Gewinnspielsituation eines Marktes über einen längeren Zeitraum systematisch unter die Lupe zu nehmen, hilft beim Finden der optimalen Promotion-Strategie.

Analyse Gewinnspiele – Kriterien:

  • Welche Spiele in welchem Zeitraum?
  • Ziele der Gewinnspiele?
  • Welche Preise?
  • Viele kleine oder wenige große Gewinnchancen?
  • Intensität der Promotions (wie oft pro Stunde/ am Tag)
  • Länge der einzelnen Breaks
  • Teasing in der Moderation (Längen, Häufigkeit, Qualität, Stärken, Schwächen)
  • Promos für das Gewinnspiel (Längen, Häufigkeit, Qualität, Stärken, Schwächen)

Diese Liste hilft zu erkennen, welche Art von Spielen in einem Markt bereits besetzt ist, für welche Art von Preisen (große Geldsummen, attraktive Neuwagen oder eher viele kleinere Gewinne wie stündlich 100 Euro) die Sender stehen und ob es vielleicht eine Chance gibt, durch gegenteiliges Programmieren und den Verzicht auf Gewinnspiele eine Marktlücke zu finden, die eine gute Musikposition um ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ergänzen kann.

Moderation als Visitenkarte
Die Moderatoren sind die Visitenkarte des Senders. Sie stellen die emotionale Bindung zum Hörer her, sorgen für den Spaßfaktor, transportieren Informationen und regionale Kompetenz und sind auch Strategen, wenn es darum geht, die Marketingbotschaften des Senders geschickt in Moderationen zu verpacken. Sie geben dem Sender die „akustische CI“. Eine Analyse der Moderationen auf dem „eigenen“ Sender im Vergleich zum Wettbewerb hilft, weitere Stärken, Schwächen, Chancen und offene Flanken zu verifizieren.

Analyse Moderation – Kriterien:

  • Generelle Ansprechhaltung und Anmutung
  • Moderationsuhren, Sendeuhren

Länge der Breaks:

  • Inhalte der Breaks
  • Spaßfaktor
  • Aufbau und Qualität der Breaks
  • Variation in Stimme, Stimmung, Ansprechhaltung
  • Emotionen, Persönlichkeit
  • On Air Promotion in der Moderation
  • Musik verkaufen, Umgang mit der Musik

Auch hier können sich einerseits eigene Schwächen zeigen und andererseits Chancen ergeben, ein „neues“ Programm besser im Markt zu positionieren – oder von Wettbewerbern zu lernen. Natürlich hängen die eigenen Chancen auch von den Menschen ab, die als Moderatoren zur Verfügung stehen. Nicht alle haben das Potential, strategisch kompetente und emotional agierende Star- Moderatoren zu werden – aber für diesen Fall gibt es ja immer noch die Alternative knapper Moderationsuhren mit ganz kurzen Breaks und langen Musikstrecken.

Nachrichten und Service als Unterscheidungsmerkmal
Auch wenn Nachrichten nie das Kriegsentscheidende Kriterium für den Erfolg eines Massenprogramms sein werden (und in Zeiten, in denen man sich alle Arten von Nachrichten jederzeit auf sein Smartphone holen kann, erst recht nicht), so braucht fast jedes Format kompetente Nachrichten, die schnell über das Wichtigste informieren und verlässlichen Service – vor allem am Morgen. Zu keiner anderen Tageszeit ist das Bedürfnis nach Nachrichten und Service im Radio so groß wie in der Zeit von 05:00 bis 09:00 Uhr. Ein schneller Nachrichtenüberblick – steht die Welt noch? Was ist vor meiner Haustür los? Gibt es etwas Besonderes auf den Straßen oder bei den öffentlichen Verkehrsmitteln? – ist morgens nahezu genauso wichtig wie Unterhaltung und die Lieblingsmusik in der richtigen Mischung. Es lohnt sich also, den Nachrichten vor allem innerhalb der Morgensendung besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Und: Nachrichten können den kleinen zusätzlichen Unterschied ausmachen – etwa, wenn sie verschiedene Formen der Nachrichtenaufbereitung enthalten wie die Nachrichten von NDR 2, die 2013 mit dem Deutschen Radiopreis für die besten Nachrichten ausgezeichnet wurden. Nachrichten können einen frischen, jungen Sound unterstreichen. Z.B., wenn sie sich trauen, auch mal eine Umfrage zum ausverkauften Konzert eines großen Musikstars vom Vorabend zum Nachrichtenthema zu machen. Nachrichten verstärken die regionale Kompetenz mit entsprechenden Meldungen – aber sie können auch provinziell klingen und den Sender „klein“ machen, wenn man es mit Lokalität übertreibt und jede umgefallene Milchkanne im Nachbardorf vermeldet. In jedem Fall tragen Nachrichten zum Gesamtbild des Senders bei und dürfen in einer Analyse nicht fehlen.

Analyse Nachrichten und Service – Kriterien:

  • Format der Nachrichten allgemein (Schlagzeilen, Nachrichtenüberblick zu Beginn der Sendung, Trenner, Musikbetten, Liners, Wordings)
  • Auswahl der Meldungen im Vergleich mit den Wettbewerbern
  • Anzahl und Länge der Meldungen
  • Inhalte: Deutschland- und Weltnachrichten vs. Lokales
  • Gewichtung nationale und internationale Themen vs. lokale Themen
  • Aufbereitung der Meldungen (mit O- Tönen, Redaktionstönen, etc.)
  • Service mit Mehrwert und Nutzen für den Hörer?
  • Service pünktlich, zuverlässig, ausreichend oft?
  • Länge des Service
  • Zu viele Blitzer?

Inhalte als Profilverstärker – und als Abschaltfaktor
Inhalte sind ein zweischneidiges Schwert – sie können das Profil eines Senders stärken und die Strategie unterstützen, aber sie können auch schaden.
Noch nie hat ein Sender wegen eines nicht stattgefundenen Beitrages einen Hörer verloren. Aber Millionen von Radiohörern wechseln regelmäßig den Sender, wenn ein Inhalt sie nicht interessiert.

Allerdings wird Content immer wichtiger – attraktive Themen interessant umgesetzt machen nach guten Moderatoren den Unterschied zwischen Musikabspielplattformen und Radio.

Wenn Sie Hörer fragen, ob sie einen Sender kennen, bei dem zuviel geredet wird, werden sie in den meisten Märkten eine Antwort bekommen. Obwohl der (meist-) genannte Sender objektiv gemessen gar nicht mehr Wort im Programm hat als z.B. ein Wettbewerber mit ähnlicher Zielgruppe, schadet dieselbe Menge Wort Sender Eins während Sender Eins anders wahrgenommen wird. Dieses Phänomen beobachtet man oft bei Morgensendungen. „Was, wir reden zuviel??? Unsere Morgensendung hat zuviel Wort? Die Kollegen von Radio XY reden doch viel mehr!“. Kann sein – denn es kommt nicht auf die Menge an, sondern auf die Qualität.

Wird ein Sender bzw. eine Morgenshow mit zuviel Wort assoziiert, liegt es oft an der Relevanz des Wortes.
Für einen Check der Inhalte eines Senders bzw. eines Marktes scannen Sie die Inhalte von zwei bis drei ausgewählten Sendern am besten über einen Zeitraum einer ganzen Woche: was hat wer zu welcher Uhrzeit im Programm gehabt und wie waren diese Themen aufbereitet und umgesetzt?

Analyse Inhalte – Kriterien:

  • Quantitative Auflistung: wie viel, was, welche Längen
  • Qualitative Einordnung: Relevanz des Inhalts an diesem Tag zu dieser Uhrzeit an diesem Ort für die Zielgruppe des Senders
  • Betrifft das Thema den Hörer in seinem Leben?
  • Haben die Inhalte einen Mehrwert, gehen also über das hinaus, was auch in einer Tageszeitung, einem Online Portal oder einer App nachzulesen ist?
  • Ist die Anzahl der Information pro Beitrag gut zu verarbeiten oder ist die Infodichte so hoch, dass Hörer den Inhalten kaum noch folgen können?
  • Bieten die Inhalte einen Unterhaltungswert?
  • Haben die Inhalte einen Weitererzählfaktor?
  • Könnten die Inhalte zum Abschalten animieren?
  • Wurden die Inhalte gut geteast und verkauft?
  • War die Aufbereitung originell, kreativ und machte Lust auf mehr?

Wenn Ihr Wettbewerber es schafft, so attraktive Inhalte on air zu haben, dass Sie die Fragen nach Mehrwert, Weitererzählfaktor und Unterhaltungswert mit „ja“ beantworten müssen und die Themen außerdem eine gewisse Relevanz haben, dann haben Sie immer noch die Möglichkeit – im Sinne eines Unterscheidungsmerkmals – durch weniger Wort und mehr Musik zu punkten.

Viel Wort als USP?
Lange Wortstrecken sind ein prima USP – beim Wettbewerb, wenn Sie diese nutzen, um einen Konkurrenten damit zu repositionieren… und selbst lange Musikstrecken anbieten.
Lange Musikstrecken sind tagsüber immer noch ein wichtiger Einschaltgrund für eine große Mehrheit der Hörer.
Gutes Wort zu produzieren, ist aufwendig und zählt zu den anspruchsvollen Aufgaben im Radio, die neben den öffentlich- rechtlichen Sendern oft nur (größeren) Privatsendern mit entsprechender finanzieller und personeller Ausstattung gut gelingt.

Analyse des Verhältnisses Wort zu Musik zu Werbung – Kriterien:

  • Quantitative Messung: wie viele Minuten Wort und Werbung pro Stunde
  • Qualitative Einordnung der Strecken mit viel Wort
  • Gibt es Sendestrecken, die auffallen, z.B. weil die Wortsrecken darin extrem lang und wenig relevant sind?
  • Wie sehen die Uhren aus? Sind sie extrem zerfasert? Oder lassen diese auch längere Musikstrecken zu?
  • Sind Nachrichten und Werbung oder Wortstrecken allgemein mit den Werbeblöcken zusammengelegt oder wird für jeden Bestandteil ein neuer Break eröffnet?

Eine einfache quantitative Messung von Wortanteilen offenbart manchmal Schwächen, die im Alltagsgeschäft zunächst wenig auffallen. Zum Beispiel, wenn eine Stunde der Nachmittagssendung zweimal drei Minuten Nachrichten, zweimal vier Minuten Service und zweimal fünf Minuten Werbung enthält. Das sind schon 24 Minuten Wort und der Moderator hat noch nicht mal „Hallo“ gesagt, geschweige denn einen Inhalt transportiert. Hat Ihr Wettbewerb eine solche Schwäche? Gut für Sie! Hat „Ihr Sender“ diese Schwäche? Arbeiten Sie daran! Die langen Werbeblöcke sind kaum zu ändern – alles andere schon.

Der Gesamteindruck – Chancen für Neustart und Optimierung
Die entscheidenden Kriterien für die Gesamtauswertung sollten einem Ranking folgen und entsprechend gewichtet werden:

Rangliste Gesamteindruck, Stärken- Schwächen Analyse:

  • Musik
  • Morningshow
  • On Air Promotion
  • Moderation allgemein
  • Gewinnspiele
  • Uhren, Wortanteile
  • Nachrichten, Service
  • Andere Inhalte (Information allgemein, Lokale)

Der Gesamteindruck eines Senders nach einer ausführlichen Analyse bietet viele Chancen – Chancen, den eigenen Sender neu zu positionieren, weil die Konkurrenz offene Flanken hat. Chancen, Schwächen auszumerzen und systematisch an allen „Baustellen“ zu arbeiten. Damit wir in Deutschland, Österreich und der Schweiz auch weiterhin starke Radiomarken haben, die relevant genug sind, um einem Streamingdienst vorgezogen zu werden, sollten wir Radiomacher das uns verbleibende kleine Zeitfenster nutzen, um unsere Programme inhaltlich fit für die Zukunft zu machen. Erst dann macht es Sinn, Geld und Personalkapazitäten in die Digitale Welt zu investieren. Denn dort gilt ganz besonders: Survival of the Fittest.

Viel Erfolg,
Yvonne Malak

Erschienen am 01. Mai 2015 auf www.radiowoche.de.