01.12.2019 – Auch in den 2010er und 20er Jahren soll es immer noch Sender geben, die (neue) Morgenshow-Protagonisten einfach mal so drauf los besetzen und ohne Fokussierung senden lassen. Dabei ist die „Eingangshalle“ in Ihr Radioprogramm die strategisch wichtigste aller Sendungen, sozusagen der „Empfang“ und kann dem Sender die maximal erreichbaren Marktanteile bescheren oder dafür sorgen, dass das gesamte Produkt in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Zeit für ein Reset zum Jahreswechsel!
Denn: die Morgenshow ist das perfekte Tool, um die strategischen Ziele eines Senders zu erreichen – vor allem aber das perfekte Tool, um die gesamte Zielgruppe eines Senders abzubilden. Einerseits über die Protagonisten, andererseits über die Inhalte und die Zielpersonen, die man bei der Themenauswahl im Fokus hat. Die meisten Programme im deutschsprachigen Raum sind in der Regel zu breit angelegt, um mit nur einem Zielhörer zu arbeiten und die Show auf diesen einen Beispielhörer hin zu programmieren.

Ich rate daher in den meisten Fällen davon ab, sich auf eine Person zu konzentrieren, wie es einige Sender immer noch tun, beispielsweise auf „Mandy, 25, kaufmännische Angestellte, frische Beziehung, sportlich, Kleinwagen. Shoppt bei H&M, träumt von Urlaub auf den Malediven, will später mal Kinder und Familie“. Denn wer für „Mandy“ Programm macht, verliert Luis, 35, geschieden, ein Sohn, aus den Augen. Oder die jung gebliebene Petra, 48 mit zwei erwachsenen Kindern, in zweiter Ehe verheiratet. Alles unterschiedliche Lebensentwürfe und Altersgruppen mit unterschiedlichen Lebenswelten, die aber in einem Massenprogramm unter einen Hut zu bekommen sind. Beachten Sie also beim Programmieren die ganze Bandbreite der Zielgruppe – von der 20jährigen Studentin bis zum 40jährigen Familienvater. Wer das Budget für eine professionell aufgestellte Morgenshow braucht, muss als Sender entsprechend Geld verdienen und kommt – sofern er nicht in Riesenmärkten wie New York oder L.A. Radio macht – nicht drum herum, inhaltlich eine etwas breitere Zielgruppe anzusprechen. Zumal heute ein Musikformat kein Garant mehr für das Ansprechen einer bestimmten, engen Lifestyle-Gruppe ist. Ich betreue 80er-Jahre basierte AC-Formate, deren Hörer im Schnitt jünger sind, als die großer Hitradios wie SWR 3 (und wir sprechen bei diesem Beispiel über denselben Markt!). In der perfekten Welt besteht die Morgenshow daher aus einem Anchor (männlich oder weiblich) aus der Mitte der Zielgruppe, ergänzt durch mindestens einen (gegensätzlichen) oder mehrere unterschiedliche Charaktere, die die ergänzenden wichtigen Sinus-Milieus der Core-Hörer spiegeln. Die einzelnen kommunizierten, „in die Auslage gestellten“ Charaktermerkmale werden dabei natürlich möglichst ideal aufeinander abgestimmt.

Wichtig ist vor allem, dass die Sidekicks bzw. Co-Stars den Anchor ergänzen bzw. dass deren wesentliche Charaktermerkmale bezogen auf den Anchor Konfliktpotential bergen…. das mag zunächst seltsam klingen, wird aber mit folgender Kausalkette logisch:

Gegensätze kreieren gegensätzliche Meinungen, unterschiedliche Meinungen kreieren Konflikte und Emotionen, Konflikte und Emotionen kreieren Entertainment.

Stellen Sie sich vor, Alan Harper wäre genauso wohlhabend wie sein Bruder Charlie und genauso erfolgreich wie Charlie bei Frauen und im Job. Wie langweilig!  Ok, „Two And A Half Men“ wurde auf dem Reißbrett entwickelt…

Man kann eine Morgenshow zwar nicht auf dem Reißbrett entwickeln, aber man kann versuchen, der „Reißbrettversion“ möglichst nahe zu kommen. Ein verheirateter Anchor besten Alters beispielsweise wird durch eine junge Frau ergänzt, oder eine junge Anchor-Woman ohne Familie durch einen etwas älteren Familienvater. Durch das zusätzliche Hinzunehmen weiterer Charaktere ergeben sich interessante Spielarten und neue Optionen. All diese Charaktere müssen nicht zwangsläufig in jedem Break eine Rolle spielen. Sie können einfach durch ihre Funktion eine Daseinsberechtigung haben (Nachrichten-Anchor) oder bekommen (Moderator des Verkehrsservice) und immer dann dazugeholt werden, wenn „ihr Charakter“ (z. B. Familienvater, Single, Mutter eines Kleinkindes) zu einem Thema gebraucht wird. Ich empfehle oft auch, die Rolle des Nachrichten-Anchors ganz gezielt mit jemandem zu besetzen, der fehlende Persönlichkeitsmerkmale des Moderatorenteams ergänzt, wie z. B. „Ehe“ oder „Technikexperte“. In vielen großen US-Morgenshows werden die unterschiedlichsten Team-Mitglieder mit in die Show genommen, wenn sie ein eigenes, persönliches Thema oder eine Themenkompetenz haben, die die anderen nicht  spiegeln können. Wenn das Thema die ständig ausfallenden Schulstunden sind und nur der Line-Producer schulpflichtige Kinder hat, dann gibt es keinen besseren Charakter als ihn, um zu dem Thema etwas aus der Lebenswelt der Hörer beizutragen.

Nur möglichst vielfältige Charaktere und Einstellungen bilden möglichst viele Hörer ab und bieten einer großen breiten Zielgruppe immer wieder neue Identifikationspunkte. Der Identifikationsfaktor sorgt für Hörerbindung.

Die Hörerbindung sorgt dafür, dass ein Sender für die Morgen-Moderatoren eingeschaltet wird und die Hörer eine Loyalität zu dem Produkt entwickeln, die auch dann noch stark genug ist, wenn der Sender strategische Fehler macht, wie z.B. mit zu vielen Gewinnspielen zu nerven oder die falschen Songs zu picken. Die Loyalität mit den Charakteren ist heute und morgen die „Einschaltquotenversicherung“ eines Radiosenders.

Aus diesem Grund – Identifikation mit den Moderatoren und dadurch Bindung an die Sendung und den Sender – haben die meisten Morgenshows die klassische Mann-Frau-Konstellation. Diese Zusammensetzung bildet schon mal per se eine große Zielgruppe ab. Zusätzlich schafft sie auch ein großes „Spielfeld“ für einen der am besten funktionierenden Themenkreise: alles rund um Männer und Frauen und den täglichen Kampf der Geschlechter.

Auch bei einer bereits feststehenden Show-Besetzung ist es nie zu spät, diese optimaler für die Sender-Strategie einzusetzen. Vielleicht ist das eine Aufgabe für das kommende Jahr:

  • Charaktermerkmale schärfen und gegenüber stellen
  • Unterschiede, Gegensätze, Haltungen herausarbeiten
  • daraus Themenkompetenzen der Protagonisten ableiten
  • ergänzende Charaktere suchen (Line-Producer, News-Anchor, CvD)
  • Themenspektrum fokussieren usw.

Das alles sind Aufgaben, die bestehenden Shows vor allem eines bringen: Klarheit und damit bessere Orientierung und mehr Identifikationspotential für den Hörer.

In diesem Sinne: die besten Wünsche für das neue Jahr – für Sie und Ihre wichtigste Show.

Ihre
Yvonne Malak

Erschienen am 01. Dezember 2019 auf www.radiowoche.de.

Yvonne Malak
Die Morgenshow
256 Seiten, 17 Abb., Broschur
ISBN 978-3-86962-431-0
24,00 € Herbert von Halem Verlagsgesellschaft
https://www.halem-verlag.de/die-morgenshow/