07.04.2011 –
Yvonne Malak im Interview mit ma-Fachfrau Henriette Hoffmann:
Sie ist DIE Währung für Radiosender, von ihr hängen zu 100% die Erlöse aus den Werbekombis ab, oft das Ansehen eines Produktes in der Radiobranche und nicht selten auch das Schicksal von leitenden Mitarbeitern. Und dennoch gibt es immer noch jede Menge offene Fragen zu ihr – der ma. Die letzte Ausweisung am 9. März hat – wie jede ma Radio – für einige Überraschungen gesorgt. Einige – darunter zahlreiche der kleineren Sender – haben massiv Hörer verloren, andere – darunter einige große landesweite oder Sender in Ballungsräumen – konnten erfreuliche Gewinne verzeichnen.
Bei meinen Begegnungen mit Programmchefs und Geschäftsführern wurde ich in den letzten Wochen mit zahlreichen Fragen zum Thema ma konfrontiert, die ich gerne an eine echte ma-Koryphäe weitergeben möchte: Henriette Hoffmann wurde 1992 für RMS zunächst Mitglied der Technischen Kommission der ag.ma und 1996 gewählte Marktforscherin der Elektronischen Medien/Radio in der ag.ma. Darüber hinaus ist sie seit 10 Jahren Sprecherin der VuMA (Verbrauchs und Medienanalyse) und in dieser Position für die deutschen Radiomacher die Ansprechpartnerin zur ma.
Yvonne Malak: Frau Hoffmann, aus den ma-Ergebnissen wird sehr oft sehr viel geschlussfolgert. Meiner Meinung nach zu viel. Wenn ein Sender verloren hat, wird alles in Frage gestellt, bis hin zur Gesamtstrategie. Wenn ein Sender gewonnen hat, sucht man sich gerne etwas besonders Erfreuliches raus und feiert z.B. den Moderator der Samstag-Morgen-Show als DEN neuen Star des Hauses. Welche Parameter der ma sagen wirklich etwas über Erfolg oder Misserfolg eines Radioprogrammes beim Publikum
aus?
Henriette Hoffmann: Das hängt zunächst von der Definition des Erfolges ab. Hat ein Sender viel in off air-Aktivitäten investiert, ist Erfolg, wenn seine Bekanntheit („schon mal gehört“) gleich bleibt oder steigt. Hat er dabei eine Aktion verfolgt, die auf Einschaltimpulse setzt und der WHK steigt, kann auch dies als Erfolg verbucht werden. Beides ist in der ma Radio ablesbar. Hatte er das Ziel, wesentlich mehr Hörer aus anderen Alterssegmenten zu generieren als mit seinem bisherigen Programm und hat dieses entsprechend verändert, so wird man auch hier in den ma-Zahlen Veränderungen feststellen können.
Yvonne Malak: Ein Wert, der zumindest nach meinen Erfahrungen gerne mal schwankt, ist die Verweildauer. Nun gab es auch hier einige überraschende Ergebnisse, z.B. dass Sender von einer ma zur nächsten zwei Drittel der Verweildauer verloren haben. Sagt das irgendetwas über Abschaltfaktoren im Programm aus oder kann man die Wellen seit der Methodenumstellung schlicht nicht vergleichen?
Henriette Hoffmann: Beides stimmt: Man kann die Daten zur Verweildauer, die mit Erscheinen der ma 2011 Radio I auf Basis neuer Konvention berechnet werden, nicht mit denen vergleichen, die auf alter Konvention entstanden sind. Hier ist also große Vorsicht geboten. Bleibt man innerhalb der Methodik gilt: ein starker Absturz der Verweildauer zeigt entweder stark verschlechterte technische Empfangsbedingungen oder eine schlechtere Durchhörbarkeit des Programms – dies immer unter der Voraussetzung einer gleichen Altersstruktur. Denn: wird beispielsweise ein Programm extrem verjüngt, ist auch zu erwarten, dass die Verweildauer kürzer ist, da junge Menschen ihre Sender weniger lang nutzen.
Yvonne Malak: Natürlich kann es auch bequem für Radiomacher sein, sich auf eine neue Methodik rauszureden… können Sie diese geheimnisvoll klingende „neue Konvention“ in zwei, drei Sätzen so erklären, dass jeder sie versteht?
Henriette Hoffmann: Gab ein Befragter in der Vergangenheit im Rahmen des ma-Interviews zu Protokoll, dass er z.B. zwei Sender in einer Viertstunde gehört hat, so bekam jeder dieser Sender 15 Minuten Nutzungszeit zugeschrieben. In der neuen Methodik wird diese Zeit anteilig aufgeteilt. Also: bei zwei Sendern erhält jeder Sender 7,5 Minuten. Insofern trägt die neue Konvention auch Ab- und Umschaltverhalten stärker Rechnung. Das ist aber beim Radio sehr niedrig, im Durchschnitt werden 1,6 Sender gehört. Gezappt wird in anderen Medien.
Yvonne Malak: Trotz schlechter Ergebnisse bzw. sinkender Stundennettoreichweiten halten einige Geschäftsführer und Programmchefs zu 100% an der bisherigen Strategie fest. Aus meiner Sicht absolut sinnvoll – eine gute Strategie wird nicht durch ein schlechtes Ergebnis plötzlich eine falsche Strategie. Oder sehen Sie das anders und halten das für reichlich naiv?
Henriette Hoffmann: Weder noch – aber ich denke, solch eine Frage lässt sich schwer pauschal beantworten, sondern bedarf einer Einzelfallanalyse.
Yvonne Malak: Ich habe vorhin das Thema „Bewertung von Moderatoren“ angesprochen. Nun ist ja aber so, dass von Einheit zu Einheit, also von der „Maßeinheit Bekanntheit“ über die Einheit WHK bis „runter“ zur Stundennettoreichweite die Fallzahlen – gerade bei kleineren Sendern – immer geringer werden und die Schwankungsbreite demzufolge immer größer. Nach jeder ma sehe ich eine Menge Moderatoren, die geknickt wegen ihrer vermeintlich schlechten Ergebnisse sind… Ich meine, das ist für die Mehrheit der Sender in Deutschland – die großen Flaggschiffe mit 6- stelligen Stundenreichweiten mal ausgenommen – aufgrund der immer kleiner werdenden Fallzahl und damit immer größer werdenden Schwankungsbreite eine unsinnige Betrachtungsweise. Können wir die geknickten Moderatoren und zweifelnden Programmchefs an dieser Stelle wieder aufbauen bzw. von ihren Zweifeln befreien?
Henriette Hoffmann: Bei allen Sendern werden die Fallzahlen geringer je feiner das Kriterium ist, das betrachtet wird. Die Analyse einer Senderentwicklung sollte immer eine ganzheitliche sein. Die
Stundennettoreichweiten sind am Ende das Ergebnis sehr vieler Faktoren. Von der Bekanntheit und dem WHK hängt ab, welches Potential überhaupt vorhanden ist, um in den engeren Kriterien Werte zu erzielen. Das gilt auch für kleine wie große Sender. Nur die Dimension wird eine andere sein. Ein wenig möchte ich Ihnen auch widersprechen: Wenn die Zeitschiene eines einzelnen Moderators oder einer bestimmten Sendung signifikant rückläufig ist gegenüber den anderen Programmteilen, dann würde ich da schon mal nacharbeiten, was hier anders ist als in anderen Zeitschienen.
Yvonne Malak: Wie kommen vermeintlich unerklärliche Ergebnisse zustande wie – z.B. bei einem meiner Kunden passiert – einerseits unglaublich gute Zahlen spätabends während die Automation
läuft und gleichzeitig quasi null Hörer in Tagesstunden am Wochenende?
Henriette Hoffmann: Das klingt tatsächlich nach einem Fallzahlproblem bei der Betrachtung sogenannter Randzeiten – wäre aber wiederum auch am Einzelfall zu prüfen.
Yvonne Malak: Wenn ich richtig informiert bin, wollte die Werbewirtschaft gerne die getrennte Ausweisung von Wochentagen vs. Samstag und Sonntag. Wir Radiomacher haben nun den Salat. Nämlich absolut unterschiedliche Werte in den Vergleichen Werktage/ Wochenendtage. Was fangen wir jetzt bitte mit diesen Ergebnissen an? Einfach
ignorieren?
Henriette Hoffmann: Die Radiovertreter in der ag.ma haben diesen Wunsch durchaus unterstützt. Denn die neue Methode hilft dem Medium im Markt: Die getrennte Ausweisung der Reichweitendaten für Montag bis Freitag, Samstag und Sonntag ermöglicht eine differenziertere Radioplanung und damit auch die Möglichkeit, den Kunden zu zeigen, welche Leistungen Radio werktags und am Wochenende bietet. Insbesondere für Privatradio ist es ja die Möglichkeit nachzuweisen, welche Menschen wie private Radiosender am Sonntag nutzen.
Yvonne Malak: Im Job eines Programmmachers geht es immer um die Optimierung von Radioprogrammen, also wird uns Programmleuten die ma vorgelegt, um auch etwas über die Mitbewerber zu erfahren und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Inwieweit taugt die ma zur Konkurrenzanalyse bzw. welche Parameter kann ich überhaupt anlegen, um etwas über meine Mitbewerber aus der ma herauszulesen?
Henriette Hoffmann: Alle Kriterien, die in der ma Radio für Sender erhoben werden, taugen auch für die Konkurrenzanalyse. Allerdings hat dies natürliche Grenzen mit Blick auf Programmanalyse. Die
ma ist eine Werbeträgerreichweitenstudie und auch inhaltlich dafür konzipiert. Sie erhebt also nicht die Bekanntheit einzelner Moderatoren oder die Wirksamkeit von Slogans. Sie fragt keine Kompetenzen für
einzelne Radiosender ab. Alle Kriterien, die direkte Rückschlüsse auf Programmelemente geben, müssen in anderen Studien abgedeckt werden. Aber genau dafür gibt es auch Programmforschung.
Yvonne Malak: Eine – möglicherweise heikle – Frage: stimmt es, dass die Stundennettoreichweite eigentlich nur ein Wert innerhalb eines Korridors ist? Also: ein Sender hat beispielsweise eine Welle mit 27.000 Hörern pro Stunde. Heißt das dann, das ist ein Wert der sich in Wirklichkeit innerhalb eines Korridors von 22.000 bis 32.000 bewegen kann?
Henriette Hoffmann: Das ist keinesfalls eine heikle Frage. Jede repräsentative Studie, die keine Vollerhebung ist, berichtet Ergebnisse nur auf Basis eines Korridors, in dem die Ergebnisse mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit liegen werden. Ihr Beispiel kann es so geben – man muss zur exakten Berechnung allerdings auch wissen, wie viele Interviews im Sendegebiet des Senders gemacht wurden, also die Größe der Stichprobe und wie viel Bevölkerung dort lebt. Natürlich gilt, je größer die Fallzahl, desto geringer die Schwankungsbreite der Ergebnisse. Je kleiner also auch die betrachtete Einheit, desto größer die Schwankung. Das ist aber bei allen Studien so, beispielsweise auch bei jeder Prognose für die nächste Wahl – und kein Einzelphänomen der ma Radio.
Yvonne Malak: Wir Programmmacher tun ja alles, um die ma positiv zu beeinflussen. Leider wollen die Geschäftsführer nicht immer ganz so viel Geld ausgeben, wie die Programmleute gerne hätten… Wenn Sie Programmmacher wären, wo würden Sie investieren, um möglichst gute ma Ergebnisse zu bekommen? Eher in die Außenwerbung oder in eine große Major-Promotion bzw. Programmaktion?
Henriette Hoffmann: Sie werden lachen: in beides.
Yvonne Malak: Vielen Dank für das Interview.
Erschienen am 07. April 2011 auf www.radiowoche.de.