02.04.2012 –

Yvonne Malak im Interview mit ma-Fachfrau Henriette Hoffmann:

Die Tage vor der MA waren für mich in meiner Zeit als Programmdirektorin die schlimmsten des Jahres. Und ich vermute, vielen Kollegen – auch wenn sie Jahre im Geschäft sind – geht es zweimal jährlich ähnlich… Schwankungsbreite hin, Fallzahlenproblematik her: man muss mit dem Ergebnis leben, verteidigt, gewinnt oder verliert die Marktführerschaft, die Reichweite bestimmt die Höhe der nationalen Werbeerlöse u.v.m.

Interessant finde ich einige MA-Phänomene, die in unterschiedlicher Ausprägung immer mal wieder auftauchen und die vielen Betroffenen Anlass geben, an der MA zu zweifeln oder die Ergebnisse frei zu interpretieren oder gar – je nach Ausprägung des Phänomens – einfach nur den Kopf zu schütteln.

Am beste ich mache es wie im letzten Jahr um diese Zeit an dieser Stelle und frage jemanden, der sich wirklich damit auskennt: Henriette Hoffmann wurde 1992 für RMS zunächst Mitglied der Technischen Kommission der ag.ma und 1996 gewählte Marktforscherin der Elektronischen Medien/Radio in der ag.ma. Darüber hinaus ist sie seit 10 Jahren Sprecherin der VuMA (Verbrauchs und Medienanalyse) und in dieser Position für die deutschen Radiomacher die Ansprechpartnerin zur ma.

Für mich ist sie damit quasi die „amtliche MA Instanz“ und kompetenteste Ansprechpartnerin zu diesem Thema.

Yvonne Malak: Frau Hoffmann, in meinem Beruf als Beraterin für laufend ca. 10 Radiosender in Deutschland, fällt meinen Kunden und mir auf, dass wir seit der letzten Umstellung der Berechnungsmethode mit starken Sprüngen in den MAs fertig werden müssen. Das ist sowohl im positiven als auch im negativen Bereich teilweise so extrem, dass wir Schwierigkeiten haben, der MA zu folgen und die Ergebnisse nicht ganz verstehen. Wie kann ein Sender seine Stundennettoreichweite mit ein und demselben Programm von einer MA zur nächsten fast verdoppeln? Wie bewerten wir diese Ergebnisse?

Henriette Hoffmann: Hier gibt es zwei Einflussfaktoren zu berücksichtigen: Zum einen können Konkurrenten ihr Programm umgestalten oder sich anders positionieren, zum anderen können sich Einstellungen und Haltungen der Menschen ändern – z.B. aufgrund einer Finanzkrise. In diesen Fällen ist es sicherlich nicht angemessen, weiterhin das gleiche Programm zu machen und mit demselben Ergebnis wie in der Vergangenheit zu rechnen. Kurzum: Kein Markenartikler würde seine Zielgruppe auf immer und ewig mit der gleichen Strategie und Ausrichtung ansprechen.

Dass Veränderungen im Programm Veränderungen an den Reichweitenkennziffern nach sich ziehen, ist im Positiven wie im Negativen zu erwarten. Die ma Radio wird genau dafür gemacht, für Radiomacher und Werbungtreibende Veränderungen in beide Richtungen abzubilden und aufzuzeigen. Natürlich wünscht sich jeder immer nur Veränderungen nach oben – ich auch. Das ist menschlich.

Yvonne Malak: Das Problem ist ja, dass wir mit der Stundennettoreichweite, die den größten Schwankungsbreiten aufgrund der immer kleineren Fallzahlen unterliegt, leben müssen und vor allem finanziell leben müssen. Wenn ein Sender einfach „Pech“ hat, kostet ihn das im nächsten Jahr bei der Ausschüttung der nationalen Werbeerlöse leicht mal schnell eine mehrfach sechsstellige Summe. Es scheint so, dass seit der Umstellung der Berechnung der Viertelstundenreichweite hier noch größere Schwankungen auftreten. Müssen wir jetzt weiterhin mit diesen großen Schwankungen bzw. Sprüngen rechnen?

Henriette Hoffmann: Wenn Sie die Umstellung von Montag bis Samstag auf Montag bis Freitag, Samstag, Sonntag bei den Planungsdaten meinen, ist es sicherlich so, dass die Ergebnisvarianz zugenommen hat. Das hat allein schon damit zu tun, dass die Fallzahlen der Gesamt-ma bei einem vergleichsweise noch kleineren Ausschnitt gleich geblieben sind. Es ist eine mathematische Gesetzmäßigkeit, dass mit weniger Fällen in der Stichprobe für einen Teilbereich dessen Varianz zunimmt. Will man dies vermeiden und lieber ein sicheres Ergebnis, muss man entsprechend die Fallzahl erhöhen oder z.B. zusammengefasste Stundenwerte betrachten.

Yvonne Malak: Was können die Sender tun, um hier eine Stabilität reinzubringen? Konstant gut dasselbe Programm zu machen, dabei konstant seine Mitbewerber im Auge zu haben und das Ganze noch von professioneller Marktforschung und Beratung begleiten zu lassen, scheint ja nicht auszureichen!

Henriette Hoffmann: Sie haben die Antwort schon gegeben – das sind sicherlich alles sehr, sehr wichtige Bestandteile. Allerdings darf man auch niemals vergessen, dass keine der Studien, mit denen man arbeitet, eine Vollerhebung ist. Jede Studie – auch die, mit der man Programmforschung macht – basiert auf einer Stichprobe, die nur einen Ausschnitt aus der Grundgesamtheit darstellt. Alles andere ist forschungsökonomisch nicht darstellbar.

Mehr Stabilität kann man sich – möchte man beispielsweise die Stundenreichweiten eines lokalen Senders nach diversen Zielgruppen betrachten – nur mit einer größeren Menge an Interviews erkaufen. Je feiner man Daten betrachten möchte, desto mehr ist es nötig, entsprechende Fallzahlen als Basis zu haben. Nur so lässt sich die Varianz der Ergebnisse eingrenzen.

Yvonne Malak: Die Mitglieder der ag.ma haben sich ja darauf geeinigt, den Samstag und den Sonntag extra und losgelöst von Montag bis Freitag ausweisen zu lassen. Nun gibt es gerade an den Wochenendtagen starke Schwankungen und Ergebnisse, die stutzig machen, wie bei einem Sender, der samstags nicht mal 30% der Werktagshörer hat aber sonntags mehr als 160% der Werktagshörer . Wie sollten die Sender mit diesen Wochenendwerten umgehen?

Henriette Hoffmann: Sicherlich sind die Planungsdaten Montag bis Freitag für den ökonomischen Erfolg eines Senders wichtiger als die Daten Samstag oder Sonntag. Daran hat sich nichts geändert. Allerdings konnte Privatradio die Einzelperformance am Wochenende mit dem Beleg durch die Einzeldaten von Samstag und Sonntag weiter ausbauen, sprich mehr Umsatz an diesen Tagen erzielen und überhaupt erstmalig die Leistung von Radio am Wochenende dokumentieren.

Yvonne Malak: Ein weiteres Phänomen, das ab und an in unterschiedlichen Märkten auftritt, habe ich dieses Mal in Mitteldeutschland beobachtet. Wenn Sie in Sachsen, Sachsen- Anhalt und Thüringen alle dazu gewonnenen Hörer zusammenzählen, kommen Sie auf 100.000 Hörer pro Stunde von Montag bis Freitag. Zählen Sie die zusammen, die von den Sendern verloren wurden, kommen Sie auf ca. 300.000 Hörer… Wo sind die Menschen hin?

Henriette Hoffmann: Sie beziehen sich sicherlich auf die Werte Durchschnittsstunde Montag bis Freitag 6 bis 18 Uhr im Vergleich der ma 2012 Radio I zur ma 2011 Radio II. Faktisch ist es so, dass die Menschen nicht weg sind, sondern eben laut der neuen ma Radio in einzelnen Stunden nicht einschalten. Man könnte auch umgekehrt fragen: Wo sind die Hörer im Vergleich der ma 2011 Radio II zur ma 2011 Radio I in diesen Gebieten hergekommen? Denn da war genau die umgekehrte Entwicklung zu sehen. Ehrlich gesagt habe ich damit gerechnet, dass dies exorbitant hohe Niveau auf Dauer nicht gehalten werden kann. Hörer schalten mal mehr, mal weniger ein. Sie sind mal sehr, sehr zufrieden mit dem gesamten Angebot und mal eben nur sehr zufrieden.

Auch in der aktuellen ma Radio lässt sich ein Beispiel für intensiveres Hören finden: In Bayern ist die Radionutzung über den ganzen Tag gestiegen, auch am Morgen, wo sie ohnehin schon hoch war.

Yvonne Malak: Die launischste Diva unter den einzelnen Zahlen ist in meiner Erfahrung die Verweildauer. Einer meiner Kunden hat diese – und damit auch seine Stundennettoreichweite – fast verdoppelt. Und glauben Sie uns: wir sind darüber alles andere als glücklich!!! Wie kommt so etwas?

Henriette Hoffmann: Die Verweildauer im Radio ist seit Jahren auf hohem Niveau stabil. Senderindividuelle Veränderungen stehen häufig im Zusammenhang mit Marktveränderungen bzw. auch Veränderungen im eigenen Programm und in der eigenen Hörerschaft. Nichts ist dauerhaft einem so starken Akzeptanzkampf ausgesetzt wie ein Radioprogramm.

Dass Verweildauerveränderungen manchmal schwer nachvollziehbar sind, liegt sicherlich auch daran, dass in Trackings kaum Anhaltspunkte hierzu zu finden sind und die ma Radio hier in einer Detailliertheit Informationen abfragt, wie keine andere Studie sonst zum Thema Verweildauer.

Yvonne Malak: Vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit, Frau Hoffmann und vielleicht bis Juli, wenn die MA 2012/II ausgewiesen wird!

Ich persönlich lerne diesmal folgendes:

  1. In Mitteldeutschland haben viele Sender zwar viele Hörer verloren, aber vor allem weil dort insgesamt weniger Radio gehört wird.
  2. Umgekehrt in Bayern: hier sind einzelne Sender nicht plötzlich exorbitant erfolgreich – es wird nur mehr Radio gehört.
  3. Die Stundennettoreichweite von Montag bis Freitag unterliegt durch das „Herausnehmen“ des Samstages aus der Gesamtausweisung einer noch höheren Schwankungsbreite. Und wenn wir Radiosender eine exaktere Abbildung unserer Stundennettoreichweiten haben wollen, müssen wir die Fallzahlen erhöhen bzw. Aufstockungen „dazukaufen“.

Man könnte als Programmverantwortlicher oder Geschäftsführer auch folgendes lernen: Das eigene MA Ergebnis ist von so vielen Faktoren abhängig, dass zu einem guten Ergebnis auch immer eine Portion Glück gehört, die man bei einem solchen am MA Tag mit reichlich Sekt begießen und genießen sollte. Bis zur nächsten Ausweisung…

Oder: machen wir einfach 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr den besten Job, den wir können. Mehr geht nicht!

Herzlichst,
Ihre Yvonne Malak

Erschienen am 02. April 2012 auf www.radiowoche.de.