01.02.2021 – Radio könnte wieder DER Lockdown-Gewinner sein! Das legen die Online-Nutzungskurven nahe, die fast genauso stark sind, wie die während des ersten Lockdowns.
Das Geheimnis des Radios, die 1:1-Kommunikation von Moderator zu Hörer, das Gefühl, dass der Mensch im Radio nur mit „mir“ spricht (gute Moderatoren zeichnen sich dadurch aus, dass sie genau dies erzeugen können!), macht das Radio auch in diesem Winter zu DEM „sozialen Kontakt“, der gerne genutzt wird, wenn es darum geht, nicht alleine zu sein, Zerstreuung, Entspannung, Unterhaltung und die Nähe anderer Menschen zu finden.
Verifizieren kann das für uns ein Kollege, der täglich Streamingabrufe von mehr als 50 Radiosendern in Europa sieht und auswertet. Bill De Lisle, COO von RadioAnalyzer (https://radioanalyzer.com/), dem weltweit führenden Unternehmen für Data Analytics im Radio.
YM: Bill, eine Sache macht den Geschäftsführen und Programmchefs derzeit große Sorgen: sie befürchten durch die beiden Lockdowns ein Wegbrechen des Morgenpeaks- vor allem für die laufende MA Welle – und dadurch Probleme für die normalerweise werbestärkste Zeit des Tages zwischen 06:00 Uhr und 08:00 Uhr.
BdL: Beim ersten Lockdown war es tatsächlich so, dass der klassische Morgen Peak nicht mehr wie gewohnt da war und sich nach hinten verschoben hat. Da das übliche „Aufstehen – Familie fertig machen – zur Arbeit fahren“ weggefallen ist, waren die Stunden ab 06:00 Uhr bzw. 07:00 Uhr damals wirklich drastisch eingebrochen. Das betraf vor allen Dingen die Zeit ab Mitte März.
Über den Sommer ist der klassische Morgen-Peak dann aber wieder zurückgekommen. Und im Herbst hatten sich die Zahlen dann wieder so erholt, dass wir wieder eine ganz konventionelle Tageskurve gesehen haben. Beim zweiten Lockdown war der Rückgang am Morgen weitaus weniger extrem.
Während wir im März in den frühen Morgenstunden – also 06:00 Uhr, 07:00 Uhr – Rückgänge um 25 beziehungsweise bis zu 30 Prozent gesehen haben, waren es im zweiten Lockdown dann nur noch ungefähr zehn Prozent der Hörer, die uns zwischen 06:00 Uhr und 08:00 Uhr gefehlt haben.
Aber – und das ist die gute Nachricht! – dafür scheint es so zu sein, dass deutlich mehr Radio gehört wird.
YM: Wäre diese verschobene Morgenshow-Nutzungszeit ein Grund, die Morgensendung zu wieder zu verlängern, wie es einige Sender im Frühjahr gemacht haben?
BdL: Nein, denn interessanterweise scheint die Morgenshow-Nutzungszeit kürzer geworden zu sein, da ja der Arbeitsweg wegfällt. Also ab zirka 09:00 Uhr sind die Hörer dennoch in ihrer gewohnten Arbeitssituation – zurzeit dann eben im Home-Office.
YM: Okay – dann also lieber zwischen 07:00 Uhr und 09:00 Uhr das Allerbeste geben und ab 09:00 Uhr das klassische Tagesprogramm senden… Wie hat sich denn die Kurve am Tag entwickelt? Im ersten Lockdown wurde das Radio tagsüber ja stärker genutzt.
BdL: Vorab eine wichtige Info zum Lesen der Tabelle: Ich habe die Kurve etwas angeglichen, da die digitale Radionutzung ja sowieso Jahr für Jahr zunimmt und der Eindruck sonst verfälscht werden könnte, die Kurve ist also angepasst nach unten korrigiert worden und spiegelt deshalb realistisch den Vergleich der einzelnen Zeiträume wider. Insgesamt kann man sagen, dass wir auch in der zweiten Lockdown Periode trotz der Verluste am Morgen insgesamt über den Tag mehr Hörer hatten als davor.
In der Kurve sieht man, dass in beiden Lockdown Perioden mehr Radio gehört wurde als außerhalb der Lockdowns.
YM: Was ist deine Empfehlung an die Radiomacher?
BdL: Wir haben jetzt den Ernstfall, wofür alle jahrelang geprobt haben. Nämlich die Grundregeln umzusetzen, wie man mit Informationen und mit Hörern umgeht. Wenn man ein Privatradiosender ist, heißt das in allererster Instanz zu spiegeln, was in der Lebenswelt der Hörer passiert und was das für die Hörer bedeutet. Aber nicht, irgendwelche Verlautbarungen wiederzukäuen oder die Hörer zu ermahnen, Masken zu tragen. Diejenigen die es tun, denken sich dann „was willst du eigentlich von mir, ich mach das schon und du musst mich auch nicht ermahnen“ und diejenigen die es nicht tun und nicht tun wollen, können dich als Moderator ab sofort nicht mehr leiden.
Bitte auch auf keinen Fall die bereits bekannten Infos tausendmal wiederholen und auch nicht zum Info- oder Talk-Sender mutieren, wenn du es vorher nicht warst. Das haben wir schon im ersten Lockdown gesehen, dass das Abschaltfaktoren waren.
YM: Ist mein Eindruck richtig, dass diese „Runterzieher“ – vor allem in Sachen Corona – ein Abschaltfaktor sind?
BdL: Ja, ich habe Indizien, dass dies tatsächlich Abschaltfaktoren sind, wenn man ständig nur schlechtes zu hören bekommt. Gleichzeitig muss ich aber auch sagen, dass viele Studien belegen, dass es Menschen gibt, die die Bewerbung des Schlimmsten – also zum Beispiel das Teasen von Katastrophenmeldungen – erst recht zum Einschalten bewegt. Zurück zur eigentlichen Frage: schlechte Nachrichten, die man schon x-mal gehört hat, sind erwiesenermaßen ein Abschalt-Faktor. Je länger und stärker die Krisenermüdung, desto mehr.
Danke Bill! noch mehr Insights und Inspiration im RadioAnalyzer Blog www.radioanalyzer.com/blog
Ín diesem Lockdown für das Medium Radio also viele gute Nachrichten, die klassischen Learnings und eine offene Frage….
Die good News:
- Radio bleibt der Tagesbegleiter Nummer 1.
- Ab 7 Uhr hören mehr Menschen Radio als vor Corona.
Die Learnings:
- Musikbasierte Unterhaltungssender werden nicht für Runterzieher eingeschaltet.
- Das Wiederkäuen bekannter Informationen ist ein Abschaltfaktor – es zählt die Relevanz für das Leben der Hörer an diesem Tag zu dieser Zeit.
- Der erhobene Zeigefinger bewirkt nur eins: er macht den jeweiligen Moderator unsympathisch.
Die offene Frage – und das bleibt für mich der Unsicherheitsfaktor Nummer 1: Haben unsere Hörer den Nerv zwischen Home-Office und Home-Schooling, Streit um Endgeräte und zu schwachem W-Lan an der mindestens 20 Minuten dauernden MA-Befragung teilzunehmen?
Wir werden sehen – spätestens am 14. Juli um 10 Uhr…und bis dahin geben wir einfach jeden Tag unser Bestes.
Viel Spaß dabei wünscht
Ihre
Yvonne Malak
Erschienen am 01. Februar 2021 auf www.radiowoche.de.