30.11.2013 – „Könnten Sie einen Überblick über die Radiolandschaft in Deutschland geben? Sie haben 15 Minuten Zeit!“ So in etwa lautete die Anfrage für die Keynote der „Frankfurter Hörfunkgespräche“, die ich am 27.11. im Frankfurter Literaturhaus halten durfte. Geht das in 15 Minuten? Natürlich nicht. Es werden wichtige Bereiche fehlen, und um sich mit neuen technischen Herausforderungen und den Bedürfnissen der jungen Menschen zu beschäftigen, braucht man alleine mindestens 15 Minuten. Der „Überblick“ ist also unvollständig und natürlich subjektiv.

Angesichts der Herausforderungen an das Medium Radio im Herbst 2013 machte es deshalb für mich Sinn, auf die Stärken des Radios zu schauen. Denn ich bin überzeugt: Radio wird weiterleben. Sicher über andere Verbreitungswege und ganz sicher mit neuen Ideen. Aber es wird immer ein Begleiter für eine Mehrheit sein.

Keine Frage: Wir verlieren Mediennutzungszeit gerade der jungen Zielgruppe an Youtube, Spotify und Co. In den USA hat Pandora Einzug in die Autoradios gehalten und erhebliche Marktanteile von den Sendern kassiert und auch auf uns kommen mit neuen Bordcomputern in den Autos und immer wieder neuen Playern auf dem Audiomarkt neue Herausforderungen zu.

Aber Radio hat viele Stärken – hier sind nur drei:

  • Radio war schon immer ein interaktives Medium, das schon immer auch einen Rückkanal hatte.
  • Radio kommt von vor der Haustür.
  • Radio hat Menschen als Botschafter, die etwas schaffen können, was kein Algorithmus kann: Diese Menschen können die Freunde der Hörer werden.

All das und natürlich als Basis die richtige Strategie mit der richtigen Musik, schafft eine starke Marke.

Damit bin ich mittendrin im Thema
Fangen wir an beim Kern erfolgreichen Radios: Strategisches Radiomachen. Unglaublich, wie wir uns hier entwickelt haben. Ich durfte zum Gründungsteam von 104.6 RTL gehören, einem Sender, der vom ersten Tag an nationale Beachtung fand.

Zu diesem Zeitpunkt war Privatradio in Deutschland bereits 5 Jahre alt und, ebenso meine persönliche Radiogeschichte und dennoch steckten wir noch in den Kinderschuhen – und von 1991 an ging es rasant nach vorne – 104.6 RTL war der erste durch Marktforschung Hörernah gemachte Radiosender in Deutschland. Und es war eine Erfolgsgeschichte – fragen Sie mal die Leute von Hundert,6… Der Sender zeigte, dass eine bestimmte Art von Radio ein erfolgreiches Geschäftsmodell ist. Ein Radio, das sendet, was der Hörer hören will und nicht das, wovon einige schlaue Menschen glauben, dass es den Hörer interessieren sollte.

Dank Marktforschung können wir die Basis für unseren Erfolg schaffen, wir können innerhalb des Wettbewerbs strategisch agieren. Wir kennen die, für die wir Radio machen und können unsere Produkte genau auf sie abstimmen. Diese Erfahrung aus mehr als 20 Jahren ist die Basis für viele starke Radiomarken. Und zum Thema Marke gehört unbedingt ein Blick auf den Bereich strategische On Air Promotion: Wir alle wissen: Produkte funktionieren über Images, über das, was die Menschen über das Produkt denken.

Hier sind wir in Deutschland teils recht gut geworden. Oft aber auch noch ganz schön hintendran, wenn wir in Märkten arbeiten, in denen wir nur einen Mitbewerber haben und ansonsten es scheinbar gar nicht nötig haben, gute On Air Promotion und gutes On Air Marketing zu machen.

Scheinbar! Denn in Zeiten von Spotify und Co wird es immer wichtiger, unsere eigenen Produkte zu nutzen, um darin Marketing für das eigene Produkt und dessen Vorteile zu machen. Denn wenn wir in wichtigen Segmenten nicht mehr Top of Mind im Kopf der Hörer sind, verlieren wir schneller gegen Audiostreams und Algorithmen als mit einer Top of Mind Position für relevante Dinge von Musik bis Morningshow. Wenn wir unsere Markenkompetenzen hier stärken und die entsprechenden Felder in den Köpfen der Hörer besetzen und für unsere Kernkompetenzen Top of Mind bleiben, haben wir gute Chancen, die neuen Herausforderungen gut zu überstehen.

Ich halte diesen Bereich in einigen Bundesländern und einer bestimmten Art von Radio aber auch für stark unterbelichtet und das wiederum ist meiner Meinung nach fahrlässig.

Ich durfte in diesem Jahr zur Grimme – Jury für den deutschen Radiopreis gehören und da haben wir viele großartige Dinge gehört! Insgesamt fast 400 Beiträge, Aktionen, Sendungen. Darunter mindestens 200 Reportagen und Interviews und tolle Moderatoren, die aus ihren Gästen in langen Wortstrecken interessante Details rausgeholt haben: Torsten Otto beim BR, Bettina Rust bei Radio 1, Jürgen Wiebicke bei WDR 5…

Und was mir erst bei der Juryarbeit bewusst wurde: ein Team von NDR Info war ganz maßgeblich beteiligt an den Offshore Leaks, den Enthüllungen zu weltweiten Steueroasen. Ich glaube, die Masse der Hörer hat keine Ahnung, wie viel Qualität und Kompetenz oft in diesen Beiträgen und Sendungen steckt. Ein bisschen On Air Marketing würde den Sendern gut tun. Von wegen „Marke stärken“ und „Kompetenzfelder besetzen“.

Fast alle dieser bemerkenswerten Stücke stammten von öffentlich rechtlichen Sendern.

Ich muss zugeben, dass ich diese öffentlich-rechtlichen Sender nur als Hörer verfolge, da ich fast ausschließlich für und in privaten Sendern arbeite und gearbeitet habe. Und dass ich hier etwas voreingenommen bin.
Denn auch wenn die Info- und Kulturwellen von Bayern 5 bis NDR Info den Bildungsauftrag hochhalten, gibt es bei den Popwellen der Öffentlich-Rechtlichen eine Schieflage – zumindest meine ich, das zu hören. Denn die Popwellen der Öffentlich-Rechtlichen Sender arbeiten fast überall mit denselben Mitteln wie die Privaten: Marktforschung, Beratung, Comedies am Morgen, Claims und Positionierungen in all ihren Facetten.

Ist das richtig? Ja und nein! Für eine nationale Abdeckung einer Radiowerbekampagne brauchen wir die öffentlich-rechtlichen Flaggschiffe mit einer super Qualität. Und ein Sender wie beispielsweise SWR 3 hat sich aus sich heraus dahin entwickelt wo er jetzt ist – der Sender war schon immer die Heimat von Persönlichkeiten, Musikkompetenz und starken Comedies.

Vieles, was Privatradio heute für sich reklamiert hat das öffentlich-rechtliche System schon vor 30 Jahren hervorragend gemacht. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, ob diese Art von Wettbewerb im Sinne des Systems ist? Ich bin nicht sicher, ob es O.K. ist, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender zum MA Start aufwendige Gewinnspiele macht und z.B. Autos verlost und die Privaten nicht mit eigenen sondern mit ungleichen Waffen schlägt. Denn auch wenn die Autos aus Werbegeldern finanziert sind, ist z.B. die On-Air-Promotion-Abteilung, die die Aktion und die On Air Promotion dafür organisiert im Zweifel dreimal so gut besetzt wie dieselbe Abteilung des privaten Mitbewerbers.
Und ob die Haushaltsabgabe dafür gedacht ist, weiß ich nicht sicher.

Nach meiner Erfahrung ist im Info-Bereich im Alltags-Begleit-Medium Radio die Information für die Masse das Wichtigste – und das sind die Nachrichten mit den Infos von vor der Haustür. Das gehört zu unseren Markenkernen und keinen dieser Markenkerne dürfen wir vernachlässigen.

Die Welt wird immer globaler, wenn ich mag, kann ich den neuesten Deep House Radiosender aus Tasmanien hören, aber die Infos, die mir morgens wichtig sind, von lokalen News bis hin zum Service – z.B. ob ich den Berliner Stadtring lieber meiden sollte, weil ein Unfall zum Verkehrschaos geführt hat – das kann auf eine bestimmte Art nur Radio. Vielleicht aber kann irgendeine Stimme in meinem neuen BMW Bordcomputer das auch. Und wenn wir verhindern wollen, dass uns Bordcomputer Marktanteile abnehmen, könnte es eine Idee sein, sich auf unsere Stärken und Markenkerne zu konzentrieren und diese zu nutzen, für diesen Service Top Of Mind zu bleiben und unsere Markennamen in welcher Form auch immer für die Verbreitung dieser Infos zu nutzen.

Zusammenfassend kann man sagen:
Radio lebt auch wegen seiner Art der Informationen – spannend gemacht, persönlich, emotional und vor allem auch lokal. Meine kleine lokale Insel in einer Welt der Globalisierung. Konkurrenz belebt das Geschäft und wo ein Flaggschiff wie Antenne Bayern mit einem kleinen Privaten konkurriert, kommt viel Gutes zustande. Wenn Sie als Lokalsender in Bayern in Ihrem Sendegebiet Marktführer werden wollen, müssen Sie verdammt gut sein und das ist eine der vielen guten Nachrichten einer Bestandsaufnahme des Radios im Herbst 2013. Auch kleinere Stationen sind in vielen Bereichen verdammt gut und wettbewerbsfähig.

Ich darf regelmäßig mit Morgenshows in lokalen Märkten arbeiten, die mit den ganz Großen wie eben Antenne Bayern oder SWR 3 konkurrieren und denen es mit ihrer ganz eigenen Art gelingt, ihre eigenen USPs zu schaffen und in ihrem Sendgebiet diese Großen zu schlagen…

Sympathische Persönlichkeiten, einige gute Ideen und ein Gefühl für die Menschen, die einem zuhören und es kann tatsächlich gelingen, mit geringen Mitteln eine Morgenshow zu machen, die neben einer Show mit einem 20 Mann Team und einem Mega-Budget besteht! Der Lokalsender neue welle in Karlsruhe ist gegen SWR 3 und SWR 1 in seinem Kernsendegebiet extrem erfolgreich, der Lokalsender hitradio rt 1 in Augsburg ist seit Jahren Marktführer vor Antenne Bayern, Bayern 1 und Bayern 3.

Leider gibt es immer noch Märkte, die aufgrund ihres Systems wenig Kreativität erfordern und in denen das Radio hinter seinen Möglichkeiten bleibt.

Dabei gehört vor allem die Morgenshow zu den Herausforderungen im Herbst 2013. Denn ohne diese Stärke wird kein Sender es schaffen, seinen maximal möglichen Marktanteil zu erarbeiten und dauerhaft Hörer zu binden. Wir brauchen Menschen, zu denen ich eine persönliche Bindung herstelle, Freunde im Radio, die mich berühren, zum Lachen bringen, mit guten Geschichten an ihrem Leben teilhaben lassen und mit vielen Ideen mein eigenes Leben im Radio widerspiegeln – das kann kein Algorithmus.

Eine weitere Episode passt dazu:
ich war kürzlich bei Radio Hamburg und da erzählte mir der Herr am Empfang, dass immer wieder Fundstücke im Sender abgegeben würden: Tablet-PCs, die im Bus vergessen wurden, Personalausweise, Schlüssel und alles, was man so verlieren kann. Der arme Mann war ganz unglücklich, der Sender ist ja kein Fundbüro. Aber diese Geschichte zeigt eine der Stärken des Radios. Die Leute bringen die Fundstücke eben lieber zu den Menschen, denen sie vertrauen und zu denen sie eine Bindung hergestellt haben, als in ein anonymes Fundbüro. Sie bringen das Tablet zu John Ment, Birgit Hahn oder Philipp Kolanghis, weil sie eine persönliche emotionale Bindung zu diesen Menschen und damit zu ihrem Radiosender hergestellt haben.

Und was wir nach wie vor gut können, sind die kreativen Ideen:
Es lohnt sich, darauf beim Zappen zu achten: Die Serie „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“, die wir vor Jahren gemeinsam bei BB Radio erfunden haben und die heute eine der beliebtesten Senderbenchmarks ist, das absolut sensationelle SWR 3 Radioduell oder das FFH Wolkenkratzerfestival, das eine ganze Region bewegt und den deutschen Radiopreis als beste Programmaktion gewonnen hat. Tolle Ideen, die Hörer binden und oft auch Menschen zusammenbringen. Und darin sind wir wirklich gut im deutschen Radio! Und haben auch damit Markenkerne geschaffen.

Was wir meiner Meinung nach nicht nötig haben, sind Fakes, das „Inszenieren von Realitäten“. Gewinnspiele durch Fakes aufblasen, Aktionen durch getürkte Geschichten spektakulärer machen – ich bin der festen Überzeugung, dass Hörer so etwas auf Dauer spüren. Und wenn eine Masse an Hörern dauerhaft das Gefühl hat, nicht ernst genommen, für blöd verkauft zu werden, braucht ein Sender einen langen Atem und eine Menge Geld für Werbung, um diesen Schaden wieder gut zu machen. Diese Inszenierungen schaden uns wahrscheinlich mehr als sie nützen und ich finde, das hat Radio nicht nötig. Denn das Leben schreibt die besten Geschichten, man muss nur die Ohren offen halten und auch mal den Mut zur Lücke haben.

Neue Herausforderungen warten auf uns – keine Frage.

Aber Radio kann auch diese neuen Herausforderungen meistern, wenn es sich auf seine Stärken besinnt und diese ausbaut.

Das heißt:

  • Basics wie Marktforschung weiter entwickeln und damit starke Marken schaffen.
  • Strategischer On Air Promotion genügend Raum und Wichtigkeit innerhalb des Senders einräumen, Personal dafür ausbilden
  • hier sehe ich in vielen Märkten großen Nachholbedarf.
  • Die Stärke des Vor Ort Mediums ausspielen, lokalpatriotisch sein, sich für seine Region engagieren.

Und dann unsere ganz großen Stärken:

  • Die kreativen Ideen, die besondere Aktionen hervorbringen fördern und damit
  • Dinge schaffen, die Gesprächsstoff erzeugen.
  • Persönlichkeiten Raum geben, diese weiterentwickeln und auf die persönliche Verbindung zum Hörer setzen. Moderatoren müssen den Ehrgeiz haben, die Freunde der Hörer zu werden.

Und vor allem:

  • emotional sein.

Die stärkste Verbindung zu ihrem Hörer stellen wir durch Gefühle her. Wer es schafft, einen Hörer einmal emotional zu berühren hat für lange Zeit einen treuen Freund gewonnen. Und einem echten Freund verzeihe ich auch mal Fehler vor allem aber kehre ich immer wieder zu ihm zurück.

In diesem Sinne: herzliche Weihnachtsgrüße und die besten Wünsche für 2014. Gesundheit, Glück, Erfolg (und jede Menge treue Freunde…)

Ihre Yvonne Malak

Erschienen am 30. November 2013 auf www.radiowoche.de.