01.12.2021 – Er dauert nur wenige Sekunden und es braucht nicht viel Aufwand, ihn zu kreieren – aber er ist magisch. Der Moment, wenn Hörer das Gefühl haben, der Mensch im Radio spricht wirklich nur mit ihm.
Und das ist auch gleichzeitig das Geheimnis des Erfolges des Radios und der Grund, warum gutes Radio immer überleben wird: die 1:1 Kommunikation.
Wir sprechen zwar mit zigtausenden, teilweise sogar hunderttausenden Hörern zur selben Zeit, aber selbst, wenn mehrere Menschen zusammen denselben Sender hören -z.B. im Auto – hört jeder für sich allein.
So zitiert Valerie Geller in ihrem Buch Beyond Powerful Radio den legendären US-Radiomacher David Sholin zu diesem Thema mit dem Satz: „Egal, ob man als Moderator mit einhundert oder einer Million spricht, jeder Hörer sollte das Gefühl haben, die Worte sind direkt an ihn gerichtet“ (Geller 2011: 20).
Den magischen Moment kreierst du, wenn ein einziger das Gefühl hat, du sprichst nur mit ihm. Wenn du es also schaffst, den Hörer mit der Tätigkeit, die er in dieser Sekunde ausübt, anzusprechen, an einem Ort zu erwischen, an dem er sich in dieser Sekunde befindet, oder eine Stimmung zu spiegeln die er in dieser Sekunde empfindet.
Und das Beste: alle diese Moderationen können die MA für deinen Sender positiv beeinflussen.
Ich erlebe oft, dass Radio-Mitarbeiter denken, in der MA würde gefragt „Welchen Radiosender haben Sie gestern morgen (zwischen Uhrzeit X und Y) gehört?“. Das ist falsch.
Im Vordergrund der Tagesablauf-Befragung stehen die Tätigkeiten, die man zu der jeweiligen Uhrzeit ausgeübt hat. Diese Tätigkeiten werden dann mit der Mediennutzung unterlegt.
Also lautet die Frage nicht: welchen Sender haben Sie zwischen 6 Uhr und 6 Uhr 15 gehört, sondern: „Was haben Sie gestern zwischen 6 Uhr und 6 Uhr 15 gemacht“. Erst im Anschluss wird nachgefragt, ob dabei ein Sender genutzt wurde und wenn ja welcher.
Im AGMA Deutsch heißt das: „Zur Ermittlung der Hörvorgänge in der Radio-Tranche (… ) wird eine spezielle Abfragetechnik benutzt, indem mit den Befragten der gestrige Tag hinsichtlich bestimmter Kriterien strukturiert durchgesprochen wird. Innerhalb der Radio-Tranche sollen die Befragten anhand typischer Tätigkeiten den gestrigen Tag Revue passieren lassen (wann wurde aufgestanden, gefrühstückt, zur Arbeit gefahren oder Hausarbeit erledigt etc.) und dabei erinnern, ob und welche Radiosender sie dabei gehört haben. Diese werden entsprechend viertelstundengenau protokolliert“.
Also: es geht zuerst um die Tätigkeiten des Vortages und dann erst um den dabei genutzten Radiosender.
Heißt: will ein Sender etwas dazu tun, um von seinen Hörern auch sicher genannt werden, hilft es, dem Hörer Hilfestellungen zur Erinnerung zu geben und die typischen Tätigkeiten des jeweiligen Tagesteils in die Moderation einzubauen.
Spricht man als Moderator seine Hörer „beim Frühstück“ oder „der ersten Tasse Kaffee des Tages“ direkt an, werden alle die Hörer, die gerade beim Frühstück oder dem ersten Kaffee „erwischt“ werden, am nächsten Tag bei der MA Abfrage garantiert kein Problem haben, den tatsächlich gehörten Sender auch zu erinnern! Und das Beste: du kreierst gleichzeitig einen magischen Moment!
Der Weg dahin ist einfach: versetze dich in die Lage deiner Hörer, beschäftige dich mit ihren Berufen, spiegle genau diesen einen Tag. Frage dich: was beschäftigt die Menschen in deinem Sendegebiet an diesem Tag um diese Zeit? Kenne alle neuen Baustellen, alle Events der Region, die Wochenmärkte, die großen Arbeitgeber etc. Überleg dir, was deine Hörer tun, wenn sie nicht gerade arbeiten? Wie ist die Befindlichkeit in Familien mit Kindern? Wo sind gerade viele deiner Hörer unterwegs? Nerven die neuen Baustellen in der Stadt gerade alle mit dem Auto im Feierabendverkehr?
Jede dieser Moderationen erreicht garantiert mehr, als die Story von Tom Grennans Insta-Post in der Jogginghose im Studio seines Hauses (echtes Beispiel aus einem Großstadtsender….) oder über J. Lo‘s Personal Trainer…
Und gib deinem Chef diesen Tipp: Um seine Hörer noch besser kennenzulernen und noch besser zu verstehen, was sie wann tun, können MA-Mitgliedsunternehmen Daten zu den einzelnen Tätigkeiten auswerten (siehe Malak 2015: 143). Henriette Hoffmann, Marktforscherin Radio in der AGMA, sagt dazu: „Es ist möglich, Auswertungen zu machen, in denen der Tagesablauf der HörerInnen des Senders anhand von Tätigkeiten beschrieben wird. Bis wann haben die meisten Hörer geschlafen, wann sind sie aufgestanden […] und vieles mehr.“
Aber tappe beim Kreieren der magischen Momente nicht in die „Gießkannen-Falle“:
mehrere tagesteilbezogene Tätigkeiten in eine einzige Moderation zu pressen, um scheinbar mehr Hörer direkt anzusprechen, ist kontraproduktiv. Da du sowieso nie alle Hörer erreichst, richtest du mit der Gießkannen-Version mehr Schaden an, als du Nutzen produzierst, denn so führst du die Idee der 1:1-Kommunikation ad absurdum und gibst deinen Hörern ein Gefühl der Beliebigkeit.
Also: vielleicht denkst du in dieser düsteren Jahreszeit öfter daran, für deine Hörer „magische Momente“ zu kreieren. Davon können wir alle im Moment besonders viel gebrauchen…
In diesem Sinne: eine magische Adventszeit.
Deine
Yvonne Malak
Erschienen am 01. Dezember 2021 auf www.radiowoche.de.