22.03.2020 – Kürzlich rief mich ein junges Moderationstalent an. „Was mache ich denn in dieser Situation? Ich hab keine Redaktion und viel zu wenig Zeit, um alles vorzubereiten“.
Mein Rat: „Bemühe die Formel (2H + 2E) x K“.
Hörer on air, mit Herz befragt, das Zulassen von Emotionen aller Art und Empathie für die Menschen, umgesetzt mit Kreativität – das Grundgerüst für erfolgreiche Sendungen in der Krise.
Und genau das machen viele Sender gerade und sind damit mitten in diesem Albtraum die verlässliche Begleitung für mehr Hörer denn je.
Hörer on air sind unsere „Reporter vor Ort im Zentrum des Geschehens“, sie sind unser Bindeglied in Lebenswelten, die wir selbst vielleicht nicht kennen, weil wir z.B. keine Kinder haben oder keine Ahnung von der Dynamik im Team eines Supermarktes, sie geben Feedback zu Maßnahmen, teilen ihre Emotion mit uns und allen Hörern oder lassen uns und alle am Radio wissen, wer unsere Unterstützung braucht.
Es ist die Stunde des Radios. Und vielleicht können wir für die Nachkrisenzeit etwas daraus machen, dass dieses wunderschöne Medium erstarkt aus der Krise hervorgehen lässt. Denn Totgesagte leben bekanntlich länger (und das gilt für das Medium Radio seit der Erfindung des Walkman in den 80ern….).
Das Radio begleitet, das Radio informiert, das Radio schafft Zusammengehörigkeitsgefühl, das Radio muntert auf, das Radio appelliert, das Radio unterhält, das Radio lenkt ab, das Radio kreiert Aktionen (Nachbarschaftshilfe, Facebookgruppen, Danke-Aktionen für die Helfer), und vieles mehr. Und das besondere daran – im Vergleich mit anderen Medien wie Online News Portale, TV Nachrichten oder geschönte Insta-Feeds: die Begleitung aus dem Radio hat mehr als eine Stimme. Sie hat ein Gesicht, einen Charakter, sie hat Schwächen, sie fühlt mit, sie reagiert, sie trifft im besten Fall jeden Hörer einzeln mitten ins Herz. Nicht jeden Hörer immer, aber nach und nach unterschiedliche „Schicksalsgemeinschaften“ mit unterschiedlichen Geschichten.
Die Hörer sind der Rückkanal im sozialen Medium Radio und werden so zu einem Teil des Teams und des Hör-Erlebnisses.
Alles zusammen ist eine Riesenchance für die Nachkrisenzeit. Die Radiomacher werden mehr denn je zu echten Bezugspersonen. Echt im Sinne von ungeschönt.
Dass die persönliche Bindung der Hörer durch Persönlichkeiten unsere Einschaltquotenversicherung für die Zukunft ist, habe ich an vielen Stellen bereits gesagt und geschrieben. Jetzt haben wir die Möglichkeit, diese Krise an dieser Stelle als Chance zu begreifen.
Der Zukunftsforscher Matthias Horx (https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/im-rausch-des-positiven-die-welt-nach-corona/) schreibt in seinem visionären Artikel über „Die Welt nach Corona:
„Paradoxerweise erzeugte die körperliche Distanz, die der Virus erzwang, gleichzeitig neue Nähe. Wir haben Menschen kennengelernt, die wir sonst nie kennengelernt hätten. Wir haben alte Freunde wieder häufiger kontaktiert, Bindungen verstärkt, die lose und locker geworden waren“.
Im besten Fall passiert in den nächsten Wochen folgendes:
Hörer und OnAir Stars werden noch engere Freunde mit einer noch stärkeren persönlichen Bindung.
Diese persönliche Bindung wird dafür sorgen, dass kreativ gemachtes Radio mit echten (ungeschönten) Persönlichkeiten für mehr Menschen (wieder) zum täglichen Leben dazu gehört. Denn zu einem engen Freund kehrt man immer wieder zurück.
Vielleicht irre ich mich.
Vielleicht aber auch nicht.
Bleiben Sie gesund,
Ihre Yvonne Malak
Erschienen am 22. März 2020 auf www.radiowoche.de.